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Amazonien – 1/2 Jahrhundert später » Seite 3

Veröffentlicht am 15. Oktober 2014 - 07:02h

Das Für und Wider der Infrastruktur Amazoniens

Strassen durch den Regenwald – sie erleichtern und beschleunigen den Transport und die Kommerzialisierung von Produkten – jedoch ermöglichen sie auch eine illegale Besetzung von Ländereien, die illegale Ausbeutung von Edelhölzern und die damit verbundene Verwüstung der Natur, die illegale Goldschürfung und die damit verbundene Vergiftung der Flüsse mit Quecksilber, sowie die heimliche Öffnung von Transportpfaden, die zur Waldzerstörung beitragen.

Wasserkraftwerke im Regenwald – sie liefern eine erneuerbare und saubere Energie, durch die die thermoelektrische Energie (auf Erdölbasis) ersetzt werden kann, die den Treibhauseffekt erhöht – jedoch verändern sie auch den Wasserfluss (Überschwemmung in einem Gebiet und Trockenheit im andern), verhindern die Wanderungen der Fische zu ihren angestammten Laichplätzen, verursachen also ambientale und soziale Probleme in der Lebensweise der lokalen Bevölkerung.

Ausbeutung von Mineralien im Regenwald – schafft Arbeitsplätze und Einkommen, sowie eine Verbesserung der lokalen Infrastruktur – jedoch verursacht sie eine sich ausdehnende Waldzerstörung und Erosion des Bodens. Sie fördert die Verschmutzung der Flüsse und die Zunahme von Einwanderern im Gebiet dieser Aktivitäten.

Das Ende der 1970er Jahre und der Beginn der 80er wurden geprägt durch die geologische Forschung und in Konsequenz auch durch entsprechende Entdeckungen von Mineralien in Amazonien. Darunter auch Bauxit (zur Herstellung von Aluminium), am Rio Trombetas, das von der Kompanie “Rio do Norte“ seit dem Jahr 1975 abgebaut wird – gegenwärtig die grösste Bauxit-Mine Brasiliens. In derselben Region gab es Versuche zur Installation anderer Projekte der Mineralienförderung und für Wasserkraftwerke in “Cachoeira Porteira“, am Rio Trombetas, und “Cachoeira Pancada“, am Rio Erepecuru – alle wurden jedoch eingestellt.

Die staatlichen Investitionen in Projekte wie Strassen, Mineralienabbau und Wasserkraftwerke – die so genannten “Grossen Projekte“ – kombiniert mit Subventionen und billigen Krediten für die Land- und Viehwirtschaft, hatten ab 1970 schnelle und dramatische Veränderungen in Amazonien zur Folge. Amazoniens Viehbestand wuchs von 2 Millionen im Jahr 1970, auf zirka 80 Millionen Stück im Jahr 2010 (fast vier Tiere für jeden Bewohner). Und die Waldzerstörung, die bis 1975 weniger als 1% betrug, erreichte fast 19% der Region (dreimal die Fläche des Bundesstaates São Paulo) im Jahr 2013.

Das Ende des 20. Jahrhunderts war geprägt von sich verdichtenden sozialen Konflikten – mit gewalttätigen Auseinandersetzungen um den Besitz von Ländereien in den Grenzgebieten. Schon während der 1980er Jahre waren die durch Landstrassen erreichbaren Territorien besetzt von traditionellen Bewohnern oder Bodenspekulanten, die sich mittels “Grilagem“ eines Terrains bemächtigen ¬– (Grilagem ist eine uralte Praxis in Brasilien, sich eines Grundstücks zu bemächtigen, dass einem nicht gehört: Man legt eine fingierte Besitzurkunde zusammen mit ein paar Grillen in eine Schublade.

Das Papier bekommt nach ein paar Wochen ein gealtertes, antikes Aussehen durch das Anknabbern und die Ausscheidungen dieser Insekten. Mit diesem “gealterten Dokument beweist“ der Spekulant sein uraltes Besitzrecht. Der Bundesstaat Mato Grosso hat den höchsten Index an “Grilagem de terra“: 6,7%). Der so genannte “Grileiro“ pflegte “sein Terrain“ mit Gewalt in Besitz zu nehmen und scheute sich auch nicht, Familien zu vertreiben, die auf diesem Stück Land bereits seit Jahrzehnten wohnten.

Solche Konflikte wurden anfangs durch die Gründung der “Pastorais da Terra“ (einer Initiative der Katholischen Kirche) bekämpft, die versuchte, die Bauern Amazoniens zu schützen. Auf der anderen Seite schuf die Regierung ebenfalls spezielle Organe, um diesem Missbrauch Einhalt zu gebieten. Ausserdem waren die landwirtschaftlichen Syndikate gegen Ende der Militärdiktatur gestärkt und in der Lage, Informationen über die Glaubwürdigkeit von Dokumenten einzuholen. Trotzdem reichten alle diese Initiativen nicht aus, um die Konflikte um den Landbesitz zu verringern und der Gewalt ein Ende zu machen. Die Opfer waren Kleinbauern im Süden von Pará, Latex-Sammeler in Acre und indigene Volksgruppen entlang der Transamazônica.

Die Bildung von landwirtschaftlichen Syndikaten und sozialen Bewegungen in Amazonien geschah aus einer Reaktion der traditionellen Bewohner des Regenwaldes heraus (Indios, Latex-Sammler, Paranuss-Sammler, Fischer, Babaçu-Nuss-Sammler und Flussuferbewohner) gegen die Waldzerstörung und die durch Installation grosser Projekte provozierte Gewalt. Das bekannteste und markanteste Beispiel dieser Zeit ist die Geschichte des Latex-Sammlers Chico Mendes, dessen Kampf für die Erhaltung des Regenwaldes und die Lebensart seiner einfachen Menschen international anerkannt und mit verschiedenen Auszeichnungen belohnt wurde.

Ein Mann kämpft um die Erhaltung des Regenwaldes

chico_mendesDer Latex-Sammler Francisco Alves Mendes Filho wurde am 15. Dezember 1944 in dem kleinen Flecken Xapuri, im brasilianischen Bundesstaat Acre, geboren. Schon als Kind begleitete er seinen Vater in den Wald und erlernte von ihm die Kunst, wie man die Kautschukbäume “anzapft“, um die wertvolle Latex-Milch zu gewinnen, und wie man diese über dem offenen Feuer erhitzt und zu einer Kautschuk-Kugel weiterverarbeitet.

In der Obhut seines Vaters war aus dem kleinen Chico, wie sie ihn nannten, ein “Seringueiro“ (Latex-Sammler) geworden, der erst im Alter von neunzehn Jahren lesen und schreiben lernte und 1975 zum Gewerkschaftsführer in Brasiléia (Acre) gewählt wurde. Jetzt beteiligte er sich aktiv am Kampf der “Seringueiros“ gegen die Waldabholzung, er organisierte den Widerstand in seiner Region – Proteste, bei denen die Arbeiter die Bäume mit ihren eigenen Körpern vor der Baumsäge schützten. Des Weiteren organisierte er verschiedene Aktionen der eingeborenen Bewohner zur Verteidigung ihres Landbesitzes. Aus diesem Grund erreichten ihn, seit seiner Erscheinung als Führer der “Seringueiros“, die ersten Morddrohungen.

Chico Mendes, wie ihn seine Freunde nannten, verteidigte eine Union der Waldbewohner durch die Gründung verschiedener Reservate für Latex-Sammler. In solchen Gebieten, so seine Vision, würden die Produkte des Regenwaldes in einer nachhaltigen Form gesammelt, das heisst, ohne den Wald und seine Ressourcen zu schädigen.

In wenigen Jahren wurde er zum Symbol eines “Verteidigers des Amazonas-Regenwaldes“ – auch im Ausland wurde er durch sein couragiertes Engagement schnell bekannt. Eines Tages (1987) erhielt er in seiner einfachen Hütte in Xapuri den Besuch von Mitgliedern der Unep (Umweltorgan der UNO) – die Inspektoren sahen die Waldzerstörung mit ihren eigenen Augen und erlebten die Vertreibung der Latex-Sammler durch die sich ausbreitenden Viehzüchter – und sie verstanden, dass die internationalen Banken eine Fehlentwicklung finanzierten.

Bald darauf wurde der Umweltschützer und Gewerkschaftsführer Chico Mendes eingeladen, diese Geschehnisse dem nordamerikanischen Kongress zu unterbreiten. Das Ergebnis seiner Reise nach Washington war ein sofortiger Stopp der Finanzierungen zur Zerstörung des Regenwaldes. Und wieder zurück, wurde Chico Mendes in der Presse von Politikern und Viehzüchtern beschuldigt, den “Fortschritt des Bundesstaates Acre“ aufzuhalten. Im Gegenzug erhielt er verschiedene Preise in Brasilien und auf internationaler Ebene, als eine der Persönlichkeiten, die sich besonders dem Schutz der Ökologie verschrieben hat.

Verheiratet war Chico mit Ilzamar und Vater von zwei Kindern, Elenira und Sandino. Ein Traum wurde für ihn Realität, als er erlebte, wie die ersten “Reservate für Latex-Sammler“ in Acre geschaffen wurden. Und er erreichte die Enteignung des Latex-Sammellagers “Seringal Cachoeira“, in dem die Arbeiter vom Betreiber Darly Alves da Silva geknechtet und misshandelt wurden – daraufhin nahmen die Morddrohungen zu. Chico denunzierte die Drohungen und bat um Polizeischutz, aber er erreichte nichts.

Etwa ein Jahr nach seiner Reise zum US-Senat, Chico Mendes war gerade 44 Jahre alt geworden, da erschossen sie ihn an der Hintertür zu seinem Häuschen in Xapuri (am 22. Dezember 1988). 1990 wurden der Fazendeiro Darly Alves da Silva und sein Sohn Darci Alves Pereira zu neunzehn Jahren Gefängnis für den Mord an Chico Mendes verurteilt.

Die indigenen Völker des Oberen Xingu

Die Region des Oberen Rio Xingu gehört zur Übergangszone zwischen der Savannenlandschaft des Mato Grosso und dem Regenwald Amazoniens. Eine besonders interessante Region für eine Vielzahl von indigenen Völkern, die in diesem Gebiet alles vorfanden, was sie zu ihrem genügsamen Leben in der Natur benötigten – bis die weissen Einwanderer in ihre Idylle einbrachen.

villas-boas-brüderAls 1945 die Gebrüder Claudio, Orlando und Leonardo Villas Bôas während einer Expedition den Indios am Xingu begegneten, waren sie so angetan von der freundlichen Aufnahme dieser in den brasilianischen Grossstädten als “gefährliche Wilde“ bezeichneten Waldbewohner, dass sie sich entschlossen, längere Zeit unter diesen gastfreundlichen Menschenwesen zu verbringen. Aus Monaten wurden Jahre, und aus den Villas-Bôas-Brüdern streitbare Verteidiger der indigenen Lebensart und Beschützer ihrer freundlichen Gastgeber, sowie der gesamten indigenen Bevölkerung Amazoniens.

Nachdem einige ihrer indigenen Freunde an einer Grippe gestorben waren, deren Viren offensichtlich von ihnen selbst eingeschleppt worden waren, bemühten sie sich um eine Impfkampagne und regelmässige ärztliche Konsultationen für die indigenen Dörfer am Xingu-Fluss. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts konnte sich jeder Indio am Xingu auf eine ärztliche Vorsorge verlassen, so wie jeder andere brasilianische Bürger.

Claudio und Orlando wussten um die Wirkung von “Public Relations” im allgemeinen und um ihre Bedeutung hinsichtlich der Indios, im besonderen. Und auf diese Weise gelangen ihnen wichtige Verbindungen zu Politikern, Militärs und zu den Medien.

Im Verlauf ihres Zusammenlebens mit den Indios des Oberen Xingu halfen die Villas Bôas diesen Völkern, ihre Selbstachtung zurück zu gewinnen. Sie waren die Ersten, von denen die Indios unterstützt wurden, auf ihre Art der Lebenshaltung, und die damit verbundene Kultur ihres Volkes, stolz zu sein. Ihre Arbeit fand ein gewaltiges Echo in den nationalen und auch internationalen Medien, was wiederum dazu beitrug, dass die gebildeteren Brasilianer diese “Realität der Wildnis“ besser verstanden und sich für den Schutz jener indigenen Völker und ihr natürliches Ambiente zu engagieren begannen.

Ein erfreuliches Ergebnis dieses Engagements aller – der Indios, der Villas-Bôas-Brüder, einiger Anthropologen und der Midia – war 1961 die Schaffung eines Reservats am Oberen Xingu: der “Parque Indígena do Xingu“ (Indigene Park des Xingu), mit einer Fläche von 22.000 Quadratkilometern an Regenwald, Savannen, Flüssen und Seen. Und Orlando Villas Bôas, der aktivste der Brüder und glühendster Verteidiger der indigenen Lebensart, wurde als Direktor und Leiter des Reservats eingesetzt. (Der “Park“ kann ausschliesslich von Ethnologen und anderen Wissenschaftlern mit einer Sondergenehmigung der FUNAI besucht werden – aber nicht von Touristen – und das ist, der Gesundheit und der unverfälschten Lebensweise der Indios zuliebe, auch sicher gut so).

In den folgenden Jahrzehnten schuf man weitere, immense Reservate für die indigenen Völker Brasiliens. Und die, unterstützt von Anthropologen, Missionaren und anderen Aktivisten, gründeten kommunale Organisationen, von denen die brasilianische Regierung ziemlich unter Druck gesetzt wird, alle möglichen Rechte der Indios nicht nur anzuerkennen, sondern ihnen auch zu entsprechen und Taten folgen zu lassen. Zum Beispiel haben die Caiapós des Oberen Xingu, auf ihre indigenen Rechte in der Brasilianischen Verfassung von 1988 verwiesen und erreicht, dass grosse Areale des Amazonas-Regenwaldes, in Form von “Terras Indígenas“ (Indigene Territorien), gesetzlich geschützt wurden – heute 21% von Amazoniens Fläche.

Der Edelholz-Boom

Als Antwort auf den internationalen Druck ging die brasilianische Regierung gegen Ende der 1980er Jahre dazu über, die Anreize zu einer Land- und Viehwirtschaft in Amazonien zurückzuschrauben. Und sie reduzierte ebenfalls die staatlichen Investitionen für eine Expansion der Infrastruktur in dieser Region. Aber diese Einsichten kamen zu spät. Die in den Regenwald getriebenen Pisten hatten eine Invasion aller möglichen Sorten von Geschäftemachern bis an die Landesgrenzen möglich gemacht, und die konzentrierten sich jetzt auf einen neuen grossen Deal: Die Edelholzausbeutung der nativen Waldflächen – und mit diesem illegalen Raubbau an der Natur leiteten sie ein neues Kapitel in der Vernichtung des Regenwaldes ein – besonders in einer Region, die als “Arco do Desmatamento“ (Bogen der Waldzerstörung) bekannt ist.

Der “Arco do Desmatamento“ ist eine Region, in der die landwirtschaftliche Grenze sich in Richtung auf den Regenwald hin ausbreitet – dort ist die Waldzerstörung Amazoniens am grössten. Dieser Bogen spannt sich vom Osten und Süden des Bundesstaates Pará in westlicher Richtung, vorbei an den Bundesstaaten Mato Grosso, Amazonas, Rondônia und Acre.

In den 1980er und 1990er Jahren trugen drei Faktoren zu diesem illegalen Holz-Boom bei: Die Erschöpfung der Holzvorräte in den Wäldern von Süd- und Südostbrasilien, der Überfluss im Regenwald Amazoniens, mit geringen Behinderungen hinsichtlich einer illegalen Abholzung und die strategische Positionierung der Sägewerke für den nationalen und internationalen Markt. Die gesamte Holzausbeutung war illegal. Eine Situation, die erst ab Mitte der 1990er Jahre begann, sich zu verändern, als die brasilianische Regierung anfing, die Notwendigkeit der Einführung einer Waldwirtschaft zu begreifen und zu verlangen.

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