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Aufrüstung Amazoniens

Veröffentlicht am 24. Oktober 2014 - 13:29h

Philaethria dido, Regenwald Amazonas - BrasilienSeit dem Bericht von Carvajal, im 16. Jahrhundert, hat Amazonien das Interesse der ganzen Welt auf seine Schätze der Natur und die kulturellen Verschiedenheiten seiner indigenen Völker gelenkt. Und Orellanas Reise auf der Suche nach dem El Dorado hat die Phantasie der Europäer damals noch mehr beeinflusst und zahlreiche Abenteurer auf der Suche nach Gold und Silber in diese Region gelockt.

Jedoch nachdem man diese wertvollen Metalle nicht fand, verloren die meisten das Interesse an Amazonien, so auch die Spanier, während die Portugiesen die wahren Schätze der Regenwaldregion erkannten und anfingen, ihre wirtschaftliche Entwicklung auf der Basis von gesammelten Waldprodukten und Ackerbau einzuleiten. Ab Beginn des portugiesischen Kolonisierungsprozesses, im 17. Jahrhundert, machten sie verschiedene Versuche, Amazonien zu entwickeln.

Die Kolonie konnte sich zwei Jahrhunderte lang halten, dank der Arbeitskraft versklavter Indios, die von den weissen Kolonisten in erster Linie zum Sammeln von Waldprodukten, zur Feldarbeit und beim Hausbau benutzt wurden. Zu jener Zeit war Amazonien direkt mit Portugal verbunden und unterhielt praktisch keine wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Beziehungen zum übrigen Brasilien.

Der wirtschaftliche Höhepunkt Amazoniens kam dann ab 1876, im 19. Jahrhundert, mit dem Gummi-Boom. Zeugen aus jener Zeit des Überflusses sind die pompösen Theater und andere Prunkgebäude in Belém und Manaus. Diese goldenen Jahre waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts abrupt zu ende, als der Kautschuk aus Amazonien von den Plantagen in Südostasien auf dem Weltmarkt überrundet wurde. Die Folge war eine totale Stagnation der Wirtschaft in Amazonien, die bis in die Mitte der 1960er Jahre anhielt.

Als die allgemeine Euphorie der Brasilianer über die vom damaligen Präsidenten Juscelino Kubitschek eingeweihte neue Hauptstadt Brasília (1960) sich wieder gelegt hatte, und sein Amtsnachfolger João Goulart durch einen Militärputsch verjagt worden war (1965), richteten sich die Interessen der nun regierenden Militärjunta, und des von ihr eingesetzten Präsidenten, General Humberto de Alencar Castelo Branco, auch auf das wirtschaftlich “am Boden liegende“ Amazonien.

Um ihm wieder auf die Beine zu helfen, wurde am 28. Februar 1967 die “Zona Franca“ (Freihandelszone) in Manaus gegründet, die sich mit Steuer- und Zollvergünstigungen als ein attraktives neues Produktionszentrum für multinationale Unternehmen präsentierte. Und sie kamen. Der Industriepol von Manaus beherbergt 2012 zirka 600 Industrieunternehmen und hat mehr als eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen. Das Produktionsschwergewicht liegt auf den Sektoren Fernsehen, Informatik und Motorräder. In den letzten Jahren erhielt der Pol neue Impulse durch die Implantierung des Digital-Fernsehens in Brasilien.

Um sich in der “Zona Franca“ zu installieren, erhalten die Industrieunternehmen zwar keine direkten Vergünstigungen, aber wenn sie anfangen zu produzieren, bekommen sie:

  • Eine zollfreie Einfuhr vorfabrizierter Teile, mit den sie, unter Nutzung internationalen Knowhows, ihre Produkte in Manaus zusammensetzen (Montagefirmen).
  • Sie brauchen auch keine Export-Steuern zu entrichten.
  • Sie erhalten einen Teilerlass an Steuern, die für die Zirkulation von Waren und Dienstleistungen erhoben werden (ICMS).
  • Zehn Jahre lang brauchen sie weder Grundsteuer noch öffentliche Abfallbeseitigungsgebühren zu zahlen.

Aber selbst mit diesen Steuererleichterungen ist dieser Industriepol zu einer bedeutenden und ständig wachsenden staatlichen Einnahmenquelle geworden: Im Jahr 2006 erhielt der Bundesstaat Amazonas von den Multis der Freihandelszone R$ 3,6 Milliarden (1,2 Milliarden Euro) und die Landesregierung R$ 6,8 Milliarden (2,3 Milliarden Euro).

Kritik an der Freihandelszone hört man nur hinsichtlich ihrer Lage mitten im Regenwald Amazoniens – der mangelnden Logistik und dem schwierigen Transport – Umstände, welche die Vorteile bei Steuern und Zollgebühren wieder aufheben, die Preise der dort produzierten Produkte wieder erhöhen und die Wettbewerbsfähigkeit entsprechend verringern.

Trotzdem steht Manaus heute, durch seinen bedeutenden Wirtschaftsaufschwung – in dem auch der Tourismus eine zunehmende Rolle spielt – hinter São Paulo, Rio de Janeiro und Brasília an vierter Stelle der reichsten Städte des Landes – eine neue Phase Amazoniens ist angebrochen.

Die Aussichten für das 21. Jahrhundert

Blue macaws in the Amazon areaAb Ende der 1980er Jahre nimmt der Druck der brasilianischen Öffentlichkeit und auch des Auslands auf die Landesregierung zu – Grund des allgemeinen Unwillens ist die fortschreitende Regenwaldzerstörung in Amazonien, der die Regierung mit vergeblichen Strafandrohungen Einhalt zu gebieten versucht. Die Situation ist bis 2004 ausser Kontrolle.

Dann endlich erhöht man die Belegschaft der Kotrollorgane und erklärt mehr als 500.000 Quadratkilometer des Regenwaldes als “Unidades de Conservação“ (Konservierungs-Einheiten) – eine Fläche, zweimal so gross wie der Bundesstaat São Paulo. Das Ergebnis dieser Aktion war ein expressiver, und für viele überraschender, Rückgang der Waldvernichtung – von 28.000 Quadratkilometern (2004) auf 5.800 Quadratkilometer im Jahr 2013.

“Unidades de Conservação“ sind Territorien, die durch Gesetz für die Erhaltung der Natur bestimmt sind, und in einigen Fällen auch freigegeben für die Nutzung der von ihnen produzierten natürlichen Ressourcen (Tourismus, Extraktion von Hölzern, Sammeln von Waldprodukten, etc.).

In diesem Jahrhundert hat Brasilien sich vor einem internationalen Auditorium verpflichtet, die Abholzung des Regenwaldes bis 2020 um 80% zu verringern. Dafür sind Initiativen im Gange, die das Fällen von Bäumen nur nach vorheriger behördlicher Genehmigung erlauben und dieselbe Person verpflichten, die abgeholzte Fläche wieder mit nativen Baumarten aufzuforsten.

An diesem Beginn des 21. Jahrhunderts sind die mehr als 24 Millionen Bewohner Amazoniens auf der Suche nach einem wirtschaftlichen Entwicklungsmodell, das Lebensqualität (Job, Lohn und soziale Gleichheit) schafft, in Harmonie mit der Erhaltung der Natur-Ressourcen. Diese Herausforderung scheint unerreichbar, jedoch gibt es neue Erkenntnisse und Aussichten, dass ein neues Entwicklungsmodell schon im Lauf des kommenden Jahrzehnts möglich werden könnte.

Amazonien besitzt immer noch grosse Reichtümer der Natur – angefangen bei Ressourcen des Regenwaldes und seiner Lebewesen, über zahlreiche Mineralienlager, bis zur Unendlichkeit seiner Ströme, Flüsse und Seen. Und Amazonien beherbergt eine Vielfalt indigener Völker, Quilombolas (Siedlungen von Sklavenabkömmlingen) und traditionellen Kommunen (Latex-Sammler, Paranuss-Sammler, Fischer, Uferbewohner, und anderen), sowie neuere Einwanderer, die ab der 1960er Jahre ankamen – sie alle werden die Zukunft Amazoniens beeinflussen.

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