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Fordlândia – die grosse Pleite im Amazonas-Regenwald

Veröffentlicht am 26. Dezember 2012 - 22:57h

In der Mustersiedlung Fordlândia, die vor mehr als achtzig Jahren von einem Tycoon der amerikanischen Automobilindustrie inmitten der “Grüne Hölle“ Amazoniens errichtet worden war, sieht man heutzutage keinen einzigen Arbeiter mehr. Die Strassen und Schienenwege sind verlassen, überwuchert von der aggressiven Vegetation des Dschungels, die inzwischen auch die amerikanischen Einfamilien-Bungalows vereinnahmt, die damals den Arbeitern und ihren Angehörigen zur Unterkunft dienten. Heute werden sie von Fledermauskolonien bewohnt, die Wände und Decken mit einer Patina ihrer Exkremente überzogen haben. Die Bungalows stehen rechts und links von der “Palm Avenue“, die im Schatten prächtiger Mangobäume liegt, mit denen man ein Zeichen von Zivilisation gegenüber der wilden Dschungelvegetation gesetzt hat – Ulmen oder Ahornbäume wären in der feuchten Hitze eingegangen. Die zerbrochenen Glasfenster des Sägewerks deuten darauf hin, dass hier schon lange niemand mehr tätig ist. Der fünfzig Meter hohe Wasserturm, mit einem Fassungsvermögen von 570.000 Litern, ragt immer noch über die Baumkronen hinaus, aber die weissen Kursivbuchstaben des Firmenlogos sind im Lauf der Jahre von den wolkenbruchartigen Regenfällen Amazoniens ausgelöscht worden. Heute erinnert nur noch wenig an jenen mächtigen Mann, der die Idee hatte, den Urwald zu industrialisieren und seine Bewohner mit dem “American Way of Life“ zu beglücken – Henry Ford, Gründer der “Ford Motor Company“ im Staat Michigan, USA.

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Voller Enthusiasmus über den grossen Erfolg seiner Automobil-Fabrikation, die Anfang des 20. Jahrhunderts ordentlich Rückenwind bekommen hatte, und entschlossen, den Engländern mit ihren unverschämten Latex-Preisen ein Schnippchen zu schlagen, entschied sich Amerikas grösster Automobilproduzent dafür, im Amazonas-Regenwald seine eigenen Latex-Plantagen anzulegen, die ihm den für die Bereifung seiner Autos unentbehrlichen Rohstoff liefern sollten. Zu diesem Zweck kaufte er vom brasilianischen Bundesstaat Pará eine Million Hektar Land an den Ufern des Rio Tapajós, dem fünftgrössten Nebenfluss des Amazonas, und liess dort eine Industriesiedlung nach amerikanischem Muster anlegen, die bald als “Fordlândia do Brasil” bekannt werden sollte.

Henry Ford, damals im Alter von 65 Jahren, repräsentierte Energie, Dynamik und den Unternehmergeist des amerikanischen Kapitalismus der frühen zwanziger Jahre – Amazonien verkörperte dagegen die unberührte Wildnis, eine Urwelt, die sich bisher als unbezähmbar erwiesen hatte. Eine deutsche Zeitung textete damals: “In der romantischen Geschichte des Gummis wird ein neues Kapitel geschrieben – ein neuer und titanischer Kampf zwischen der Natur und dem modernen Menschen beginnt”. Eine brasilianische Zeitung vermutete sogar, dass Ford nun endlich die Prophezeiung des preussischen Naturalisten Alexander von Humboldts erfüllen würde, der ein Jahrhundert zuvor prophezeit hatte, dass Amazonien die “Kornkammer der Welt” werden würde. Und um die Gefahren jener Herausforderung noch zu unterstreichen, wurde die Öffentlichkeit, gerade als Ford sich für seine Plantage am Amazonas entschieden hatte, vom Verschwinden des britischen Forschers Colonel Percy Fawcett in Aufregung versetzt. Dieser war auf Grund von Nachforschungen in antiken Archiven und nach mündlichen Überlieferungen der Überzeugung, dass es eine “verlorene Stadt” (die er “Z” nannte) südlich von jenem Ort geben müsse, an dem Ford seine Plantagen geplant hatte – Fawcett verschwand im Dschungel, und man hat nie mehr von ihm gehört.

Ford seinerseits, dem alle Ressourcen der industriellen Welt zur Verfügung standen, inspirierte die Journalisten zu immer neuen Lobeshymnen, die deutlich machten, dass man keinerlei Zweifel am Erfolg seiner “Kultivierungs-Mission” der “Grünen Hölle am Amazonas” hegte. TIME teilte mit, das Ford beabsichtige, seine Gummiplantagen jedes Jahr zu vergrössern “bis der gesamte Dschungel industrialisiert ist”, gefolgt von den Waldbewohnern: “Bald werden Boa constrictors zu den Dschungel-Centers hinunterkriechen – Affen werden dort ihre Versammlungen abhalten. Mit Blasrohren und Giftpfeilen bewaffnete Indios werden einsehen, dass sie mit der Konfektion von Scheibenwischerblättern, Fussmatten und Ballonreifen aus Gummi eine bessere Zukunft erwartet”. Ford würde “die Magie des Weissen Mannes” in die Wildnis bringen, so schrieb die Washington Post, in der Absicht, “nicht nur den Gummi sondern auch die Gummisammler zu kultivieren”.

Die Wildnis Amazoniens ist unberechenbar und von je her eine Versuchung für Abenteurer. Die Chronisten scheinen nicht widerstehen zu können, das ihnen fremde ökologische System des Dschungels als ein metaphysisches Testgelände zu betrachten – einen Ort, der den Menschen verführt, ihm seinen Willen aufzuzwingen, nur um dann seine Schwächen unter Beweis zu stellen. Forscher und Missionare des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts schilderten den Dschungel entweder als vom Teufel bewohnt oder als Enthüllung des Teuflischen, das im Menschen wohnt. “Diese Wildnis bringt die schlechtesten Instinkte des Menschen an den Tag, brutalisiert und verhärtet die Gefühle und enthüllt in bösartiger und erschreckender Weise die ganze teuflische und schmutzige Begierde”, so beschrieb sie ein anglikanischer Geistlicher jener Zeit.

Aber auch Persönlichkeiten jüngerer Zeit, die eine Begegnung mit der unberührten Wildnis Amazoniens überlebt haben, fühlen sich oftmals genötigt, nach einem tieferen Sinn in ihrer Menschenfeindlichkeit zu suchen und beschreiben sie als einen Prüfstein für die Sackgasse humanen Fortschritts. “Wir fordern die Natur heraus, und sie schlägt zurück – sie schlägt nur zurück, das ist alles”, sagte der deutsche Filmregisseur Werner Herzog nach seinen Strapazen für den Film “Fitzcarraldo”, den er 1982 in Amazonien drehte.

Henry Ford, zusammen mit jenen Männern und Frauen, die er in die Wildnis geschickt hatte, um die Siedlung zu errichten, waren völlig taub gegen jegliche Metaphern und Klischees, die bis dato über Amazonien verbreitet worden waren. Seine Leute aus dem amerikanischen Mittelwesten waren von einer gewissen hartnäckigen Nüchternheit, Ingenieure die meisten, aber auch Holzfäller und Waldarbeiter, viele aus Fords Holzindustrie der oberen Michigan-Halbinsel. Als diese Männer sich dem Dschungel gegenüber sahen, fingen sie nicht an zu philosophieren. Die Geier am Himmel – jene dunklen Aasfresser, die in anderen Amazonas-Reisenden oftmals schaurige Gedanken an ihre eigene Vergänglichkeit ausgelöst hatten, erinnerten Fords Männer lediglich an die harmlosen Tauben von Detroit. Auch Ford selbst vermied alle phantasievollen Adjektive, mit denen die Medien Amazonien zu beschreiben pflegten, trotzdem sah er den Dschungel als Herausforderung an, aber die hatte weniger damit zu tun, die Natur zu besiegen und zu beherrschen, als vielmehr seine Vision von einem beschaulichen Amerika zu erhalten, welche ihm zuhause zu entgleiten schien. Diese Vision war verwurzelt in seiner Vergangenheit auf der Farm seiner Eltern in Dearborn (Michigan) und hat ihn Zeit seines Lebens inspiriert, dem Landleben auch mit seiner Industrieproduktion Rechnung zu tragen.

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