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Tiere in Amazonien

Veröffentlicht am 19. November 2011 - 14:50h

Der 4,2 Millionen Quadratkilometer grosse Regenwald ist die Heimat hunderttausender Arten von Pflanzen, Tieren, Pilzen, Mikroben und Bakterien. Eine Baumgruppe im Wald oder ein Flussarm in der Ebene kann in Amazonien mehr Arten enthalten als andernorts ganze Kontinente! Brasilien, – auf das der grösste Anteil Amazoniens fällt – beherbergt 13% aller Tiere unseres Planeten Erde – und der grösste Teil davon in Amazonien!

Bleiben wir beim brasilianischen Teil Amazoniens, der besitzt 1.200 registrierte Arten von Vögeln. Im Umkreis von nur 150 km rund um Manaus kann man 800 Arten von ihnen entdecken – mehr als in den USA und Kanada zusammen (700). Und dasselbe mit den Fischen: Die Zahl der in Amazonien registrierten Fische (mehr als 2.000) ist zehnmal so gross wie in ganz Europa (200). Allein im “Lago Catalão“, ein See zwischen den Flüssen Negro und Solimões, gegenüber der Stadt Manaus, gibt es 300 von den Wissenschaftlern des “Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia“ (INPA) klassifizierte Arten.

Es gibt Schätzungen der Wissenschaftler, dass erst etwa 10% aller in Amazonien vorkommenden Spezies überhaupt klassifiziert worden sind. Vielleicht auch weniger. Trotzdem ergeben diese 10% bereits ungeheure Zahlen. Allein von den Amphibien sind 400 Arten klassifiziert – gegenüber den 81 in Europa! Die Säugetiere hat man bisher mit 427 Arten registriert – davon 70 Affen- und 122 Fledermausarten. Die Bienen machen 3000 Arten aus – Schmetterlinge und Raupen 1.800. Auf einem einzigen Baum Amazoniens hat man zum Beispiel 95 Arten von Ameisen gefunden – 10 weniger als im gesamten Deutschland!

Und es gibt noch eine gewaltige naturwissenschaftliche Lücke zu füllen. Man muss gar nicht weit gehen, um neue Spezies zu entdecken: selbst am Amazonas, dem meist erforschten Fluss der Region, sind Neuentdeckungen Routine – im Jahr 2005 identifizierte man ein neues Exemplar von Fisch, der zwei Meter Länge erreichen kann. Erst kürzlich mit neuen Tests – durchgeführt mit einem Schleppnetz – enthüllten ein Universum von elektrischen Fischen und anderen exotischen Flussbewohnern, die sich in der grössten Tiefe aufhalten, an Stellen totaler Finsternis. “Immer wieder entdecken wir, dass das, von dem wir annehmen, es gut zu kennen, uns beweist, wie wenig wir wirklich wissen“, sagt ein Forscher von der INPA. Im Durchschnitt entdeckt man eine neue Süsswasser-Fisch-Spezies jede Woche in Brasilien!

Im Museum “Emílio Goeldi“ in der Hauptstadt Belém (Bundesstaat Pará) sind während der letzten sechs Jahre 70 neue Arten beschrieben worden – inklusive Wespen, Spinnen, Fische, Affen, Schlangen und Pflanzen. “Hätten wir mehr Forscher, würden wir sicher sehr viel mehr entdecken“ sagt die Direktorin Museums.

Der grössere Teil Amazoniens ist immer noch unerforschtes Terrain für die Wissenschaft. Man nimmt an, dass 70% der biodiversifikativen Sammlungen sich auf die Umgebung von Belém und Manaus beschränken – wo sich die INPA, das Museum Goeldi und die Universitäten der Region befinden. Gegenüber der Grösse und der Vielfalt Amazoniens ist das so, als ob man dieses gigantische Gebiet durch ein Schlüsselloch erforschen wolle! Es fehlen Antworten auf grundsätzliche Fragen: Zum Beispiel, wie viele Arten gibt es tatsächlich in dieser Region? Wie sind sie verteilt? Welche Rolle spielt jede von ihnen innerhalb der Natur? Niemand weiss diese Antworten. Die grösste Biodiversifikation der Erde ist auch die unbekannteste!

Über kleinere und äusserst unterschiedliche Organismen, wie zum Beispiel die Wirbellosen (die 95% aller Tierarten auf der Erde ausmachen), kann man nicht einmal mit Schätzungen aufwarten. “Ich nenne das nicht eine Informationslücke – das ist ein gigantischer Desinformationskrater, der sich da vor uns auftut“, sagt der Ökologe Thomas Lewinson, von der Staatlichen Universität in Campinas (UNICAMP), Koordinator der grössten Aufstellung über die Biodiversifikation Brasiliens, die je unternommen wurde. Und er fügt hinzu: “Das ist auch keine Inkapazität der Wissenschaftler, sondern ist einfach ein schwarzes Loch – man kann da auch nicht mit Schätzungen arbeiten“.

Und es handelt sich hier nicht einfach darum, die Neugier der Wissenschaftler zu befriedigen. Fehlende Informationen sind eine direkte Bedrohung der Erhaltung der Biodiversifikation und der von ihr geleisteten ambientalen Dienste. “Wie sollen wir die Funktionen eines Ökosystems verstehen, wenn wir nicht einmal die Spezies kennen, die ein Teil von ihr sind“? fragt ein Zoologe von der Uni São Paulo (USP).

Eine Planung von Eingriffen und die Definition der Schutzgebiete, zum Beispiel, hängen direkt von diesen Kenntnissen ab. “Wir produzieren viele Informationen über Amazonien, aber sie sind nicht in einer praktischen Art und Weise organisiert, so dass sie uns schnelle Antworten auf wichtige Fragen geben könnten“, resümiert ein Mitarbeiter von der NOG “Conservation Internacional“ (CI).

Eine letzte Bewertung des Staates in Bezug auf die Kenntnis der brasilianischen Biodiversifikation berechnete die Anzahl der in Brasilien bekannten Arten zwischen 168.000 und 212.000 – eine Differenz von 44.000. Die tatsächliche Anzahl zu definieren ist also schon schwierig – darüber hinaus die unbekannten Arten einzubegreifen ist unmöglich. Man schätzt ein Gesamt auf zwischen 1,4 und 2,4 Millionen Arten. Wenn man sich auf den gegenwärtigen Rhythmus der 700 Neuentdeckungen pro Jahr stützt, dann wird es 1.200 Jahre dauern, bis das gesamte Ausmass der brasilianischen Biodiversifikation bekannt sein wird – inklusive der Amazoniens!

Die offizielle Liste der bedrohten Fauna Brasiliens enthält auch 58 Arten aus Amazonien – 9% des Gesamts. Das ist wenig, wenn man bedenkt, dass viele Arten bedroht oder schon ausgerottet worden sind, ohne dass die Wissenschaftler eine Chance hatten, sie kennenzulernen. “Ganz sicher haben wir schon mehr verloren, als wir kennenlernen werden“, bedauert ein Ornithologe vom Goeldi-Museum.

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