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Fordlândia – die grosse Pleite im Amazonas-Regenwald » Seite 2

Veröffentlicht am 26. Dezember 2012 - 22:57h

Fords Idee eines würdigen Lebens war nobel und grosszügig. “Ein Mann, der hart arbeitet, sollte seinen Schaukelstuhl haben, seinen warmen Kamin und eine komfortable Wohnung”, so äusserte er sich einmal. Also liess er auch in Amazonien solche komfortablen Häuser für seine brasilianischen Arbeiter bauen – ohne den Kamin, denn der war bei den durchgehend warmen Temperaturen nicht notwendig – aber mit elektrischem Licht, Telefon, Waschmaschine, Radio mit Plattenspieler und einem Kühlschrank. An den Wochenenden veranstalteten seine Administratoren “Square-Dances” und Rezitationen aus der Poesie amerikanischer Dichter. Den Arbeitern, von denen die meisten in Amazonien geboren waren, wurden Dokumentarfilme von Expeditionen nach Afrika oder in die Antarktis gezeigt, und sie konnten sich in einer Tanzdiele im Walzertakt wiegen, anstelle von Forró und Samba. Eine Zeitung aus Michigan textete: “Henry Ford hat die Zivilisation des zwanzigsten Jahrhunderts nach Amazonien gebracht und einen Wohlstand, den die Eingeborenen niemals zuvor gekannt haben”.

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Man schrieb das Jahr 1928, als das erste Schiff der von Ford engagierten Baufirma die Amazonasmündung erreichte, während in dieser Region bereits das Abflauen des brasilianischen “Gummi-Booms” zu spüren war – die 70.000 von Henry Wickham heraus geschmuggelten Ableger der Hevea brasiliensis hatten sich in den englischen Kolonien in Malaysia prächtig entwickelt, und das bis dato brasilianische Weltmarkt-Monopol wurde durch diesen Akt der Bio-Piraterie zu Fall gebracht. Da Henry Ford jedoch beabsichtigte, die gesamte Latex-Ernte ausschliesslich für seine eigene Produktion zu nutzen, begann er dessen ungeachtet mit der Verwirklichung seines amerikanischen Traums im Amazonas-Regenwald: Im Westen des Bundesstaates Pará, zweieinhalb Tage per Schiff von der Hauptstadt Belém entfernt, liess er den Urwald roden und amerikanische Fertigteile zu schindelbedeckten Holzhäusern zusammensetzen. Der erwähnte Wasserturm war die Krönung eines ausgeklügelten Frischwassersystems, das die gesamte Siedlung mit gefiltertem und gechlortem Wasser versorgte, das vom Fluss heraufgepumpt wurde und auch zur Bewässerung der Pflanzung und sogar für die Produktion einer Eismaschine diente. Kilometerlange, unterirdisch verlegte Rohre speisten die Toiletten und nahmen das Abwasser auf. Das ganze System bezog seine Energie von einem Elektrizitätswerk, das aus Dampfkesseln, Generatoren und Turbinen zusammengesetzt war, die Ford – Pionier des Industrie-Recycling – aus ausgemusterten Marinebeständen übernommen hatte. Burger-Bistro, Kino und ein Golfplatz mit neun Löchern ergänzten die Mustersiedlung im amerikanischen Stil, in der auch jene feuerroten amerikanischen Hydranten nicht fehlten und striktes Alkoholverbot bindend vorgeschrieben war.

Erst als die Siedlung stand, und man sich mit den Vorbereitungen für die Plantage der Hevea brasiliensis zu befassen begann, stellte man fest, dass der Boden dafür nicht taugte. Da Henry Ford von einer persönlichen Abneigung gegen Experten gleich welcher Art besessen war – er pflegte zu sagen, dass sein Unternehmen “keine Experten einstellt, weil sie nur von dem etwas verstehen, was nicht getan werden kann” – hatte er sich mit Beratern umgeben, die ihm in ihrer Inkompetenz das erste grosse Problem bescherten. Obwohl sich afrikanische oder asiatische Staaten besser geeignet hätten – besonders weil es dort die endemischen südamerikanischen Schädlinge des Gummibaums nicht gab, die später noch zu einem weiteren Problem werden sollten – gaben sie Brasilien den Vorzug, und einem Terrain, von dem jeder Fachmann, schon allein durch seine hügelige Topographie und die damit verbundene Wind- und Erosionsanfälligkeit, abgeraten hätte. Das erste Schiff, abgesandt zur Gründung von “Fordlândia”, war voller genialer Köpfe und viel Geld – aber ohne Botaniker, Agrarwissenschaftler oder sonstige Experten, die Erfahrungen mit Gummibäumen und ihren Schädlingen gehabt hätten.

Die ersten Jahre der Siedlung waren geprägt von Verschwendung, Gewalt und Laster, die Fordlândia in einen Ruf von Tod und Verderben manövrierten. Die Sterblichkeitsquote durch Malaria und Gelbfieber war hoch. Männer, die beim Abhacken von Gesträuch an vorderster Rodungsfront arbeiteten, starben an Schlangenbissen. Andere beschwerten sich über ranziges Essen und korrupte, inkompetente Aufseher, die sie um ihren Lohn betrogen. Der amerikanische First-Manager der Siedlung, Willis Blakely, damals 37 Jahre alt, stammte aus Fords Sicherheitsstab und erwies sich in Amazonien als Fehlgriff, denn er verstand rein gar nichts von Botanik, geschweige denn von Gummibaum-Plantagen. Nachdem so viele Männer von Schlangen gebissen worden waren, entschied Blakely, den Dschungel abzubrennen – ausgerechnet in der Regenzeit liess er das nasse Unterholz unter Zusatz von Unmengen Kerosin anstecken – “tagelang stand die Welt in Flammen”, so berichtete ein Augenzeuge.

Zwar waren Hunderte Hektar Wald nun dahin, aber für den Aufbau einer Plantage war der malträtierte Boden kaum noch zu gebrauchen. Während dessen rostete und verrottete Baumaterial aus USA am Flussufer vor sich hin. Aufgestapelte Zementsäcke versteinerten in den zahlreichen Regengüssen. Verzweifelte Menschen aus dem dürren brasilianischen Nordosten überschwemmten die Akquisitionsbaracken auf der Suche nach einem Job – ihnen war zu Ohren gekommen, dass Ford zehntausende Arbeiter zu rekrutieren gedachte und ihnen fünf Dollar pro Tag zahlen würde. Im Schlepp hatten sie ihre Frauen, Kinder, Eltern, Cousins, Tanten und Onkel – als Unterkünfte errichteten sie Notbehausungen aus Packkisten und Leinwandplanen. In der Umgebung von Fordlândia schoss eine lasterhafte Industrie aus Bars, Bordellen und Spielhöllen aus dem Boden, in denen das von Ford verordnete strikte Alkoholverbot systematisch ignoriert wurde. Ein Ford-Verkäufer aus Brasilien, der 1928 das noch im Bau befindliche Projekt besuchte, sagte aus, dass er schockiert sei: “Es gibt keine sanitären Einrichtungen, keine Abfallbehälter, aber Milliarden von Fliegen… von mehr als einhundert Männern ist ein Drittel krank, die meisten an Malaria…noch ist keiner gestorben… man kann das Essen auf dem Tisch kaum erkennen, weil es von Fliegen bedeckt ist”. Dieser Bericht war Blakelys Ende – Ford feuerte ihn.

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