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Fordlândia – die grosse Pleite im Amazonas-Regenwald » Seite 3

Veröffentlicht am 26. Dezember 2012 - 22:57h

Fords Absicht, so schreibt der amerikanische Historiker Greg Grandin, ging darüber hinaus, in Amazonien eine einfache Rohstoffproduktion aufziehen zu wollen – und das erklärt auch seine Extravaganzen. Der Schöpfer eines amerikanischen Massenproduktions-Systems sah in “seinem Fordlândia“ vielmehr die Chance, hier eine Zivilisation im Rahmen des “American Way of Life“ zu installieren, gewürzt mit seiner persönlichen Exzentrik. Die 5.000 Bewohner – grösstenteils “Ribeirinhos“ (Flussufer-Bewohner) aus Amazonien und “Nordestinos“ (Nordost-Bewohner), die vor der Trockenheit ihrer Region geflohen waren – mussten sich rigorosen Regeln anpassen, von der pünktlichen Arbeitszeit angefangen – die mit einer Stechuhr kontrolliert wurde – bis zu einer vorgeschriebenen Diät zur Verhinderung von Krankheiten. Zum Frühstück gab es stets eingemachte Pfirsiche und Haferflocken – warum sollte er einen Ernährungsexperten einstellen, wenn er selbst, Henry Ford, am besten wusste, wie die Ernährung seiner Arbeiter beschaffen zu sein hatte? Und er führte den Konsum von Sojamilch anstelle der Kuhmilch ein, denn nach seiner Logik verbrauchten Kühe zu viel und produzierten zu wenig. Ausserdem riet er seinen Arbeitern, Gemüse- und Obstgärten anzulegen, Brot aus Vollkornweizen und ungeschälten Reis zu essen.

Fords Repräsentanten und Personalchefs der Retortensiedlung, verlangten von den Arbeitern regelmässige Blutspenden, das Einnehmen von Chinin-Tabletten und Pflanzenpräparaten gegen Parasiten. Die Verabreichung der Medizin erfolgte jeweils nach dem Betätigen der Stechuhr am Ende der Arbeitszeit. Grandin erzählt, dass die Arbeiter die Tabletten unter der Zunge versteckten, um sie später auszuspucken. “Die Amerikaner glauben, dass wir voller Würmer sind“, pflegten sie zu spotten.

Fordlandia de Lucía Lacarra y Matthew Golding.
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Bevor die Ford-Company am Rio Tapajós aufgetaucht war, lebten seine Anwohner mit der Zeit, aber sie hatten sie nie gemessen – die Mehrheit von ihnen hatte nie zuvor das Läuten von Kirchenglocken gehört und noch viel weniger eine Fabriksirene. “Deshalb war es besonders schwierig“, berichtete ein Ford-Beauftragter, der viele eingeborene Arbeiter rekrutierte, “diese Personen in Maschinen zu verwandeln, die 365 Tage im Jahr funktionieren sollten“. Die Abteilungsleiter und Supervisor von Fordlândia waren in der Mehrheit exakt auf Zeit und Arbeitspensum getrimmte Ingenieure. Eine ihrer ersten Amtshandlungen war die Abstimmung ihrer Uhren auf die Uhrzeit in Detroit (in der Fordlândia bis heute verblieben ist – die Zeitverschiebung zur nächsten brasilianischen Stadt “Santarem“ beträgt eine Stunde). Viele dieser amerikanischen Ingenieure bekamen Wutanfälle, wenn sie sich mit Arbeitern befassen mussten, die sie allesamt als “stinkfaul“ beschrieben. Fords Männer, stolze Mitarbeiter eines Unternehmens, welches weltweit für seine industrielle Effizienz und wegweissenden Fortschritt berühmt war, brachten den gemächlichen Lebensrhythmus am Rio Tapajós mit ihrem entschlossenen Auftreten völlig aus dem traditionellen Gleichgewicht. Sie gewöhnten sich an, die Brasilianer wie “Arbeitsinstrumente“ zu behandeln – ein gewisser Matt Mulrooney gab seinen Männern der Reihe nach Spitznamen, weil er sich die brasilianischen Namen nicht merken konnte. “Diesen Kerl hab’ ich Telefon genannt. Wenn ich eine Nachricht durchgeben wollte oder einen Befehl nach vorne, hab’ ich nur “Phone“ gebrüllt und dann stand er vor mir“.

Und sie massen den Wert der brasilianischen Arbeiter an sich selbst. “Zwei von uns trugen mit Leichtigkeit einige der Baumstämme, für die zwölf Brasilianer nicht in der Lage waren“, bemerkte ein Ford-Mitarbeiter gegen Ende 1930. “Und was ein Arbeiter in Detroit an einem Tag erledigt, dazu brauchen sie hier in Fordlândia drei Tage“! Die kulturellen Kontraste zwischen den Amerikanern und ihren angeheuerten brasilianischen Arbeitern waren riesengross. Alles, was die Einen mitgebracht hatten und nun von ihren Untergebenen einforderten, stand in krassem Gegensatz zum bisherigen Lebensrhythmus der Andern vom Tapajós – “wo vor allem die Eile als Obszönität galt“, dieser Spruch stammt vom amerikanischen Administrator in Fordlândia, David Rilker.

In Detroit hatten neu rekrutierte Arbeiter, selbst wenn sie bisher Farmer oder Cowboys gewesen waren, ausgiebig Gelegenheit, sich an die Gepflogenheiten des industriellen Lebens in Fords Fabriken anzupassen. Die an den Wänden von Produktionsstätten und Warteräumen aufgehängten Uhren, die relativ genauen Verkehrszeiten von Schiffen und Zügen und die vorgegebenen Arbeitszeiten, unterteilten ihren Tag in vertraglich festgelegte Abschnitte, die bewirkten, dass sich ihre innere Uhr langsam auf den neuen Rhythmus umstellte.

In Amazonien geschah das Umschalten von der Feldarbeit auf die Industrieproduktion viel abrupter. Bevor sie nach Fordlândia kamen, waren die meisten Plantagenarbeiter der Region daran gewöhnt, ihren Arbeitsrhythmus nach zwei unterschiedlichen, aber sich ergänzenden Uhren einzuteilen. Die erste war die Sonne – mit ihrem Auf- und Untergang markierte sie Anfang und Ende eines Tages – ihr Stand im Zenit, um die Mittagszeit, markierte die “Siesta” im Schatten und ein verdientes Schläfchen. Die zweite Uhr wurde durch den Wechsel der Jahreszeiten verkörpert: Den grössten Teil überlebenswichtiger Arbeit erledigte man während der relativ trockenen Monate, zwischen Juni und November. Die Tage ohne Regen ermöglichten ihnen die Extraktion des Latex, während das Absinken der Überschwemmungen nährstoffreiche Böden freigab, bereit für das Anlegen der Felder, und in den restlichen Lagunen Fischschwärme konzentrierte, die leicht zu fangen waren. Längere Trocken-, Hitze- oder Regenperioden führten zu entsprechenden Umprogrammierungen der notwendigen Arbeiten. Aber nirgendwo war den Bewohnern Amazoniens je vorgeschrieben worden, was sie zu tun hatten und wann.

Weihnachten 1930 – zwei Jahre wahren vergangen, seit der Gründung von “Fordlândia do Brasil”, aber die Arbeitersiedlung stand nicht nur, sondern sie war auch mit allen notwendigen Versorgungseinrichtungen ausgestattet und verbunden – ein vorbildlich eingerichtetes Krankenhaus mit importiertem Personal und zwei Ärzten gehörte inzwischen auch dazu, die nicht nur Mitarbeiter und deren Angehörige kostenlos behandelten, sondern auch Waldbewohner von ausserhalb. Henry Ford hatte sich für ihr Weihnachtsfest eine besondere Überraschung ausgedacht und seinen Arbeitern eine Ladung Tannenbäume aus Detroit nach Fordlândia geschickt. In den letzten Tagen vor dem Fest waren zwei geschickte Arbeiter damit beschäftigt, die Schablonen für das Ford-Logo auf dem Bauch des Wasserturms so zu platzieren, dass der grell weiss gehaltene Schriftzug, hoch über den Baumkronen, weit ins Land hinein leuchten würde.

Unter den brasilianischen Arbeitern, deren Mehrheit mit der Rodung für die Plantagen beschäftigt war, näherte sich die Stimmung dem Nullpunkt. Jetzt durften sie sich nicht mehr, wie gewohnt, nach der jahreszeitlich bedingten Wetterlage richten, sondern hatten einheitliche Arbeitszeiten einzuhalten, die von der Stechuhr kontrolliert wurden – egal, ob es regnete oder die Sonne am Himmel stand. Ihre Hygiene wurde von amerikanischen Vorarbeitern ebenfalls genauestens überprüft, und jene “Gesundheitskost“ in der Kantine von ihrem Lohn abgezogen. Wenige Tage vor Weihnachten kam es dann zur Revolte: Auslöser war die neu eingeführte Selbstbedienung an einem Buffet, wodurch die Warteschlangen sich verlängerten – scheinbar eine Kleinigkeit, aber sie brachte das Fass zum überlaufen. Wütend warfen die Arbeiter ihre Teller in alle Richtungen und zerschlugen das gesamte Inventar. Dann bewaffneten sie sich mit langen Haumessern (Macheten), steckten die Bürogebäude in Brand, zerstörten Maschinen und versenkten die Ford-LKWs und Traktoren im Fluss. In der umliegenden Wildnis verebbte ihr Schlachtruf “Brasil aos Brasileiros – matem todos os Americanos“ (Brasilien den Brasilianern – bringt alle Amerikaner um)! Die gerieten in Panik und flohen mit ihren Motorbooten oder suchten Zuflucht im Dickicht des Regenwaldes. Die Symbole der verhassten Industriewelt, die Stechuhren, wurden von den Rebellen unter einer Metallpresse zu einer formlosen Masse zerquetscht.

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