Annektierte Grundstücke, Ausweitung von Äckern und Weideflächen, Vertreibung der dort lebenden Ureinwohner – der sprichwörtliche Kahlschlag der Urwaldlandschaft Brasiliens schreitet immer weiter voran. Es geht um viel Geld und bislang konnten die Großgrundbesitzer Hand in Hand mit der internationalen Industrie fast unbehelligt ihre Macht in Amazonien ausweiten. Doch glücklicherweise nimmt das Interesse der Öffentlichkeit ebenfalls stetig zu. Immer öfter stehen die Machenschaften der industriellen Chemiekonzerne, die seit wenigen Jahrzehnten immer mehr Monokulturen produzieren, welche wiederum die Existenzen der dort seit Jahrhunderten lebenden Völker und Stämme zerstören, in der weltweiten Kritik.
Einen Beitrag dazu leistet der Dokumentar-Spielfilm „Kahlschlag – der Kampf um Brasiliens letzte Wälder“ vom deutschen Filmemacher Marco Keller, der vor wenigen Tagen Kinopremiere feierte. Der Zuschauer wird hineinversetzt in eine scheinbar auswegslose Situation, die von den Protagonisten voller Authentizität in zahlreichen Interviews dargestellt wird und die mit Sicherheit am Ende einen verstörenden Eindruck hinterlässt. So zeigt Keller unter anderem die Guarani-Kaiowá in ihrem Kampf um Land und Würde, konfrontiert mit der expandierenden industriellen Landwirtschaft in Mato Grosso do Sul. Während sich die in der Verfassung verankerte Rückgabe ihrer traditionellen Gebiete um Jahre und Jahrzehnte verzögert, breiten sich die Viehzucht und der Anbau von Soja und Zuckerrohr immer weiter aus. Zu lasten der indigenen Völker der Region.
Denn um nichts anderes als das Leid der dort lebenden Menschen geht es in „Kahlschlag – Der Kampf um Brasiliens letzte Wälder“. Der mit positiven Kritiken überhäufte Streifen lief bereits auf dem Filmfestival „Globale Rio“ in Rio de Janeiro und wurde im vergangenen Jahr sogar den deutschen Filmpreis „Die goldene Filmspule“ ausgezeichnet. Und er regt zum Nachdenken an. Nach fast 90 Minuten fast intimer Einblicke in das Leben der Ureinwohner gab es bei der Deutschlandpremiere im Traditionskino Abaton in Hamburg am 13. März 2012 zwar nur kurzen, zögerlichen Applaus, die anschließende Fragestunde wollte jedoch kein Ende nehmen.
Dort stellte sich unter anderem auch Sarah Wiener, die sich seit 2011 als deutsche Botschafterin der „UN-Dekade Biologische Vielfalt“ stark macht, den Fragen der Zuschauer. Sie ließ es sich dabei einen kleinen Exkurs nicht nehmen und klärte noch einmal darüber auf, dass der Fleischverzehr – der in ärmeren Ländern als eine Art von hohem Wohlstand gilt, kann man sich denn täglich Schlachtgut auf den Teller legen – prinzipiell abzulehnen ist. Vielmehr sei eine vegetarische Lebensweise der Schlüssel zur Gesundheit.
Die gebürtige Österreicherin, die man außerdem auch als Fernsehköchin und Buchautorin kennt, warb daher auch gleich damit, auch in Mitteleuropa auf den Verzehr von Rind und Co. komplett zu verzichten: „Fleisch verursacht außerdem Krebs!“ fügte sie wagemutig hinzu. Natürlich weiß auch sie, dass die Wälder in Brasilien weiter abgeholzt werden, um Weideflächen und Platz für Tiere zu schaffen. Schließlich müsse der anhaltend steigende Bedarf der Welt gedeckt werden. Denn „die Ware wird von Brasilien nach Holland verschifft, um sie dort weiter zu verarbeiten und zu verteilen“, so die Unternehmerin abschließend.
Auch Filmemacher Marco Keller stand geduldig den drängenden Fragen der Zuschauer Rede und Antwort. 2000 war er das erste Mal in Brasilien und lernte dabei die Völker, über die er nun so eindrucksvoll berichtet, persönlich kennen. Unter nicht gerade ungefährlichen Bedingungen brachte er vor einigen Jahren den Film zu Ende. Die Großindustrie verweigerte ihm dabei jedoch sämtliche Antworten auf seine vielen Fragen. „Sie haben die Macht, unbequeme Gegner einfach durch Gewalt verschwinden zu lassen. Zum Glück ging alles gut, aber Angst hatte ich doch ein wenig“, gab der Regisseur offen zu.
Marco Keller porträtiert und zeigt eindrucksvoll genau aus diesem Grund die Menschen, die nicht mehr wissen, wie sie sich ernähren sollen. Viele begingen in den letzten Jahren einfach Selbstmord, um nicht vor Hunger sterben zu müssen. Zum Verständnis: Wenn der Regenwald unwiederbringlich abgeholzt wird, wächst noch nicht einmal mehr Gras. Der Boden versteinert einfach, wird sofort unfruchtbar. Auch der Grundwasserspiegel sinkt in unerreichbare Tiefen. Die Folgen sind klar, eine Aufforstung nicht mehr möglich.
In gewaltigen und aggressiven Sprüngen zwischen verschiedenen Orten Brasiliens und durch die authentischen Erzählungen der Protagonisten wird in dieser sehenswerten Dokumentation mehr als deutlich, dass es den Kleinbauern, ob hier oder dort, an fast allem mangelt. Der Einblick in diese unerwartete Armut ist verstörend und erschütternd zugleich. Wenn die verzweifelte Suche nach Wasser das Tagesziel oder der Hauptlebensinhalt bedeuten, ist klar, dass sich die Ureinwohner mit der Tatsache konfrontiert sehen, ihre letzte Lebensgrundlage komplett zu verlieren. Nach diesem aussichtslosen Kampf bleibt ihnen nur noch eines, an das sie sich klammern können: die Resignation!
„Kahlschlag – Der Kampf um Brasiliens letzte Wälder“ ist ein empfehlenswertes Werk, für das ein Kinobesuch durchaus lohnt. Zu sehen ab 13. März 2012 bundesweit in ausgewählten Kinos. Mehr Informationen unter http://kahlschlag-derfilm.de
Reportage: Jörn Ehrenheim / IAP. Edition für das AmazonasPortal: Dietmar Lang