Die Arten der Orchideen, die in jeder dieser Regionen vorherrschen, sind ebenfalls sehr unterschiedlich. In tropischen Regionen, in denen Licht und Feuchtigkeit reichlich vorhanden sind, ist eine Konkurrenz mit den arborealen Spezies besonders gross – die epiphytisch lebenden Arten dominieren die Szene. Auf der Suche nach Licht, im Schatten der mehr als vierzig Meter hohen Bäume, wachsen diese Pflanzen auf Ästen und Zweigen in unterschiedlichen Höhen, in Übereinstimmung mit den Erfordernissen einer jeden Art. Ihre Wurzeln, die der Luft ausgesetzt sind, halten den grössten Teil der Nährstoffe fest, die aus dem sich zersetzenden Material um sie herum anfallen – durch den Regen, der die Blätter über ihnen abwäscht, oder durch den Staub, der in der Luft liegt. Und um keinen Riss in ihrer Nahrungsversorgung entstehen zu lassen, gibt es einen Pilz, den „Micorriza“, der ihnen bei der Zersetzung organischen Materials assistiert – er verwandelt es in Mineralsalze, die von den Orchideen leichter aufgenommen werden können. Im Fall von extremer Feuchtigkeit, können Orchideen Wasser und Nährstoffe durch ihre Blattporen aufnehmen – in diesem Fall dienen ihnen die Wurzeln lediglich zur Verankerung auf der Wirtspflanze. Keine einzige Orchidee existiert in einer parasitären Funktion – das heisst, ihre Präsenz schadet der Wirtspflanze nicht, es sei denn, dass in aussergewöhnlichen Fällen der Ast eines Baumes das Gewicht einer grossen Orchideenkolonie nicht mehr tragen kann und abbricht.
Es gibt auch sehr viele terrestrische Spezies – einige Gattungen davon in den tropischen Regionen – die sich jedes Jahr konstant weiterentwickeln. Die grosse Menge organischen Materials, welch ihnen auf dem Waldboden zur Verfügung steht, begünstigt das Auftreten einiger weniger Saprophyten-Arten – Orchideen, die kein Chlorophyll enthalten, sondern sich sämtliche organische Materie, die sie brauchen, aus dem sich zersetzenden Material um sie herum aufnehmen.
In Gebieten mit temperiertem Klima, wo die Graslandschaft vorherrscht, oder Gebieten mit Trockenperioden, wie den Savannen und den „Campos rupestres“, besteht der Orchideenbestand grundsätzlich aus terrestrischen Arten – mit gut entwickelten, subterranen Wurzeln, manchmal in Knollenform, wodurch die Pflanze gerüstet ist, Kälte und sogar Schnee zu ertragen – oder eine längere Trockenheit und sogar Feuer. Frost würde die epiphytischen Arten, die kein Wurzelwerk zum Speichern von Nährstoffen haben, um im Frühling neu zu keimen, einfach erfrieren lassen. Und Feuer würde epiphytische Pflanzen ebenfalls vollkommen vernichten. In jenen Gebieten mit deutlich unterschiedenen Jahreszeiten verbringen die Pflanzen normalerweise eine Ruhezeit, in der ihr oberirdischer Teil vollkommen vertrocknet, um eventuelle Schädigungen ihrer Physiologie durch extreme Kälte oder Trockenheit zu verhindern.
Einige Arten hat man als „in ihrem natürlichen Habitat bedroht“ eingestuft – sowohl wegen ihrer unkontrollierten Ernte durch den Menschen, als auch infolge der Vernichtung von Wald zugunsten der Landwirtschaft. Überraschenderweise befinden sich die als besonders bedroht ausgewiesenen Arten unter den am meisten kultivierten, deren kommerzielle Produktion am grössten ist. Die Mehrheit der wirklich seltenen Arten findet man nicht auf jenen Listen der bedrohten Arten, weil sie keinen kommerziellen Wert darstellen und bisher nur wenig Interesse geweckt haben. Wegen ihres relativ geringen kommerziellen Wertes machen sich die verschiedenen Regierungen auch nicht die Arbeit einer Aufstellung über die Orchideen-Populationen in der Natur ihres Landes – Aufstellungen, die existieren, sind lediglich Ergebnisse der einen oder anderen akademischen Studien.
Interessant und tröstlich ist die Tatsache, dass eine einzige Orchideenfrucht Hunderttausende an Samen enthält, und dass deshalb die Existenz von zwei oder drei Individuen einer Kultur im Lauf von wenigen Jahren eine immense Menge an Pflanzen produzieren kann – und so steht die Bedrohung des Aussterbens einer solchen Pflanze ganz anders da, als zum Beispiel die Bedrohung eines Tieres, das pro Geburt nur wenige Junge bekommt.
Die Bezeichnung „Orchidee“ stammt aus dem Griechischen „Orkhis“ = Testikel und „Eidos“ = Form – eine Referenz an die Form der beiden kleinen Wurzelknollen, welche die Arten der Gattung Orchis kennzeichnet. Da diese Gattung die erste war, welche in aller Form beschrieben wurde, hat man der gesamten Familie diesen Namen gegeben. Es wurde bereits gesagt, dass wir es bei den Orchideen mit einer der grössten botanischen Familien zu tun haben – wenn nicht der grössten überhaupt. Die Zahl der Orchideenarten nähert sich 25.000 und entspricht damit zirka 8% aller Samen bildenden Pflanzen. Deren angenommene Zahl ist viermal so gross wie die Zahl aller Säugetiere und das Doppelte der Vogelarten. In diesen imponenten Zahlen ist die enorme Menge an Hybriden und Veredelungen durch Orchideenzüchter noch nicht enthalten. Ausserdem werden jedes Jahr neue Arten entdeckt und beschrieben. Allein im Jahr 2008 registrierte der „International Plant Index“ mehr als 400 neue Arten!
Die Familie Orchidaceae wurde 1789 von Antoine Laurent de Jussieu geschaffen, als er sein „Genera Plantarum“ publizierte. Noch bevor Laurent de Jussieu die Familie klassifizierte, hatte Linnaeus bereits acht Gattungen von Orchideen beschrieben, die er allerdings nicht als eine Extra-Familie einordnete. Damals gehörten alle epiphytischen Arten zur Gattung Epidendrum.
Seit der Schaffung der Familie Orchidaceae hat sich die Wissenschaft ohne Unterbrechung mit ihrer Erforschung beschäftigt. Ihre Klassifikation erfuhr verschiedene Revisionen, und die Anzahl der bekannten Gattungen, in die sie sich aufteilt, wächst von Jahr zu Jahr – gegenwärtig in mehr als 800. Die genaue Zahl ist ungewiss, denn es gibt immer noch keine Übereinstimmung hinsichtlich der besten Art und Weise, die Gattungen zu unterteilen.
Umfangreiche Informationen, Beschreibungen und viele Fotos zahlreicher Orchideen, die im gigantischen Amazonas heimisch sind.
Die verschiedenen Orchideenarten sind eine Herausforderung für die Theoretiker der Biologie hinsichtlich der besonderen Eigenschaften dieser Spezies, die in der Lage ist, sich selbst zu kreuzen und fruchtbare Nachkommen (Hybriden) zu erzeugen. Und selbst die können sich erneut mit anderen Hybriden kreuzen, um neue fruchtbare Hybridengenerationen zu schaffen. Und so ist es möglich – sogar wahrscheinlich – dass verschiedene von Botanikern klassifizierte Arten in Wirklichkeit natürliche Hybriden sind, die schon lange Zeit in der Natur vorkommen. Wer wollte das dementieren?