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Die Hevea Brasiliensis » Seite 2

Veröffentlicht am 25. November 2011 - 13:50h

Die absolute Krone dieses verschwenderischen Luxus und der Extravaganz war das “Teatro Amazonas“, das berühmte, wenn nicht berüchtigte, Opernhaus. Gouverneur Ribeiro beauftragte einen portugiesischen Architekten, ein Opernhaus in italienischem Stil zu schaffen, welches umgeben sein sollte von gepflasterten Strassen und eleganten Villen, öffentlichen Plätzen und Gärten. Was zuerst aussah wie ein eher bescheidenes Projekt, entwickelte sich zu einem Werk für zwei Millionen Dollar – eine enorme Summe für die damalige Zeit. Architekten, Maler und Bildhauer kamen aus Europa, um ihren Beitrag zu diesem Kunstwerk zu leisten, dessen bedeutendste Materialien ebenfalls fast alle aus Europa importiert worden waren: Das schmiedeeiserne Gitterwerk war aus Glasgow in Schottland – die 60.000 Kacheln in seiner Kuppel waren aus dem Elsass – die kristallenen Lüster stammten aus Italien.

Das Hauptmaterial für den Bau war aus Stein, aber die Eingänge und ihre stützenden Säulen hatte man in italienischem Marmor ausgeführt. Einige Bürger, denen der Reichtum zu Kopf gestiegen war, bemängelten, dass man die Kuppel mit Gold hätte auslegen können, denn mit Kacheln. Aber das ärgerte den Gouverneur nicht. Er sagte, noch bevor das Theater eröffnet worden war, “wenn das Wachstum unserer Stadt es verlangt, dann reissen wir dieses Opernhaus wieder ab und bauen ein anderes“!

Das Interieur des Theaters war herrlich dekoriert mit Goldplättchen und üppigem, rotem Samt. Die Themen der Fresken und Skulpturen waren aus der griechischen und römischen Mythologie entlehnt und wechselten ab mit indianischen Legenden aus Amazonien. Indianische Köpfe zierten die Balustrade der Treppen, und es gab Wandmalereien, in denen Götter und Göttinnen im Amazonasstrom plantschten.

Am Abend der Eröffnung, dem 6. Januar 1897, intonierte die “Grosse Italienische Opernkompanie“ Ponchiellis “La Gioconda“. Das kunstvoll ausgeführte Opernhaus inmitten des Regenwaldes wurde zum Symbol der unglaublichen Extravaganz einer superreichen Elite während des Gummi-Booms und schliesslich eine Legende in sich selbst. Über die Jahre entstanden die Geschichten von berühmten Künstlern von Weltruf, die in Manaus aufgetreten sein sollen – zum Beispiel der italienische Tenor Enrico Caruso, die russische Ballerina Anna Pavlova oder die Schauspielerin Sarah Bernhardt – aber diese legendären Stars haben das Theater im Regenwald nie gesehen.

Der Abstieg

Im Jahr 1876 beauftragte Dr. Joseph Hooker, der Direktor der Royal Botanical Gardens in Kew (England) einen gewissen Henry Wickham, bekannt als englischer Abenteurer, Samen von der “Hevea brasiliensis“ aus Amazonien heraus zu schaffen. Wickham, der damals in Santarém, am oberen Amazonas, lebte, hatte bereits einige Informationen über die Kautschukbäume publiziert und nahm den Auftrag an. Es gelang ihm, 70.000 Samen im Regenwald zu sammeln und nach England zu schicken. Das Glück war anscheinend auf seiner Seite, denn was er damals noch nicht wusste, ist die Tatsache, dass in den Amazonas-Regenwäldern siebzehn verschiedene Arten der wilden Hevea vorkommen, und er hatte genau den Baum gefunden, der die Goldmine für die Gummibarone darstellte: die “Hevea Brasiliensis“!

Die Geschichte, wie Wickham die Samen aus Brasilien heraus und nach England brachte, wurde ein Klassiker tollkühnen Abenteuers – bekannt als “Seed Snatch“ (Samenraub). Es gibt eine Menge mysteriöse Unaufgeklärtheiten in dieser Geschichte. Vor allem muss man sich fragen, wie es ihm und ein paar Helfern gelang, 70.000 Samen in kurzer Zeit einzusammeln. Denn die Hevea-Bäume wuchsen weit verteilt im Wald und nicht auf einer Plantage in Reihen. Und diese Samen fallen nicht einfach so vom Baum, sondern werden von seinen aufspringenden Samenkapseln bis zu 300 Meter weit weg geschleudert – eine Strategie der Natur, um ihre Verbreitung zu garantieren. Später gefiel sich Wickham in der Behauptung, dass er sein Schiff direkt vor der Nase eines waffenbestückten “Gunboats“ beladen hätte, “das uns wahrscheinlich in die Luft gesprengt hätte, wenn sein Kommandant geahnt hätte, woraus unsere Ladung bestand“! Nun, Brasilien hatte damals kein Gesetz gegen den Export von Hevea-Samen – sicher der grösste Fehler – aber eine solch grosse Menge an Samen hätten die Zöllner sicher auch ohne Gesetz nicht durchgehen lassen.

Die Samen wurden im Juni 1876 an die Botanical Gardens in Kew ausgeliefert. Man pflanzte sie schon am nächsten Tag nach ihrer Ankunft in Beete, und schon wenige Wochen später keimten 2.000 davon. Die schickte man in die britischen Kolonien Ceylon (Sri Lanka) und Malaysia, wo man sie auf Pflanzungen in Reihen dem Boden anvertraute. Die Laborkosten waren in Asien wesentlich geringer als in Amazonien, und die jungen Pflänzchen hatten in Asien keine natürlichen Feinde. Die ersten Kautschukbäume blühten im Jahr 1881, und nach zwanzig Jahren Anstrengung seitens der britischen Botaniker begannen die asiatischen Pflanzungen mit der Produktion von Latex in grossem Stil. Ab 1910 begann dann der Preis des brasilianischen Latex zu fallen, was die Gummibarone in Manaus in Panik versetzte. Es gab niemanden, der vorausgesehen hätte, welch dramatischen Schock jene asiatischen Pflanzungen dem Latexhandel Brasiliens bescheren würde – von denen man zwar schon eine Zeitlang wusste, sie aber nicht ernst genommen hatte.

Die Gewinnung von wild wachsendem Latex in Amazonien verlangte inzwischen nach einer Ausbeutung immer abgelegener Waldgebiete, denn die älteren Areale verloren zunehmend an Produktivität. Die Anwerbung von Arbeitskräften gestaltete sich schwierig und die Zahl der zur Verfügung stehenden war begrenzt. Die Bedingungen auf den Plantagen der britischen Kolonien waren dagegen äusserst günstig. Es gab genügend Flächen zur Erweiterung der Pflanzungen, die Export-Zölle waren niedrig, der Transport billig und die Arbeitskräfte ebenfalls. 1914 lieferten die Plantagen in Ceylon und Malaysia ebenso viel Latex wie die Brasilianer – aber zu niedrigeren Preisen! Asiatischer Gummi hatte das Amazonensische Weltmonopol gebrochen – der Gummi-Boom von Manaus war vorüber!

Pirate
Saying goodbye
Fordlândia
Straight
Sideways
Emptiness
Kids playing
Death is waiting
Junkers
Machine
Cornered
Time to go
Corner
The wide view
Cleanup
Forest
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Anstatt die Fehler in ihren eigenen, ineffizienten Produktionsmethoden zu erkennen, beschuldigten die Gummi-Barone nunmehr die Landesregierung, dass sie sich mehr auf den Kaffee-Export konzentriere anstatt auf den des Latex. Sie schrien nach einer “Amazonas-Konvention“ mit dem Ziel, die Latex-Preise zu stabilisieren. In Konsequenz wurde das “Gummi-Verteidigungsgesetz“ von 1912 geschaffen, das die Anlage von Plantagen in Amazonien stimulierte, Verbesserungen im Transport versprach und eine Minderung der Export-Zölle um 50%. All das war umsonst – der Gummi-Boom war endgültig vorbei. Manaus sank zurück als verschlafenes Nest im Urwald – die Ausländer zogen ab – das Opernhaus, die schwimmenden Docks und die vielen Geschäfte – sie verkamen.

Wohl gab es verspätete Versuche, Plantagen in Amazonien anzulegen, aber denen war kein Erfolg beschieden. Krankheiten und Parasiten attackierten die Pflanzen, und auch Henry Fords Projekt – bekannt als “Fordlândia“ – war ein riesiger Flop in den 20er Jahren.

Ab 1922 kamen 93% des Latex auf dem Weltmarkt aus den Pflanzungen in Asien. Manaus verfiel in eine lange Zeit der Dekadenz. Wickham hatte in England den Ritterschlag für seine “Dienste im Zusammenhang mit der Latex-Pflanzungsindustrie im Fernen Osten“ erhalten und durfte sich fortan als “Sir Henry Wickham“ betiteln.

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