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Der Mensch in Amazonien » Seite 2

Veröffentlicht am 4. Februar 2013 - 23:00h

Alle Lösungsvorschläge, die darauf abzielen, den Menschen im Wald zu belassen, ohne Möglichkeiten eines persönlichen Fortschritts, erweisen sich als Flops. Ein deutliches Beispiel dafür sind die “Sammler-Reservate zur Selbsterhaltung“, eine Idee, die vom Führer der Latex-Sammler, Chico Mendes, in den 80er Jahren umgesetzt wurde. Heute gibt es 86 solcher Reservate, in denen 300.000 Personen leben. Nachdem sich Latex und Paranüsse sammeln als unzulänglich für eine menschenwürdige Existenz erwiesen haben, hat sich die Bevölkerung lukrativeren Aktivitäten zugewandt: Sie Fällen Bäume, verkaufen das Holz und bereiten Weideland vor für die Viehzucht. Nach Schätzungen haben einige dieser Sammler-Reservate bereits 20% ihrer Bewaldung verloren und beherbergen 40.000 Rinder. Ein positives Erfolgsbeispiel kommt von der anderen Seite – es entwickelt sich gewissermassen mit dem Rücken zum Regenwald: Die Freihandelszone von Manaus, gegründet 1967, konzentriert 550 moderne Industrien, die im vergangenen Jahr einen Umsatz von 60 Milliarden Reais (zirka 22,2 Milliarden Euro) erreichten – ohne dafür einen einzigen Baum zu fällen. Die Einrichtung der Freihandelszone in Manaus wird als bedeutendster Grund dafür angesehen, dass der Bundesstaat Amazonas der am wenigsten abgeholzte in ganz Amazonien ist. Nach seinem Beispiel könnte man in der gesamten Region weitere saubere Industriekomplexe gründen, zum Beispiel solche, die für die pharmazeutischen und biotechnologischen Sektoren produzieren.

Jedwedes Projekt zur anhaltenden Entwicklung Amazoniens muss allerdings auch den Abbau einer bedeutenden Parzelle jener Kraftwerke einbeziehen, die den grössten Teil der regionalen Energie liefern und durch Dieselöl angetrieben werden. Obwohl Amazonien als die Lunge der Welt bezeichnet wird, verschmutzen seine thermoelektrischen Kraftwerke mit jährlich 6 Millionen Tonnen Kohlendioxyd (CO2) die Atmosphäre. Dies entspricht der doppelten Menge an CO2, die von der gesamten Fahrzeugflotte der Metropole São Paulo jährlich in die Atmosphäre aufsteigt. In einer Region mit so vielen Flüssen müssen Wasserkraftwerke für die elektrische Energie sorgen. Opfer jener Hegemonie der Wärmekraftwerke in Amazonien ist wieder einmal die Bevölkerung. Es gibt Schulen, die gezwungen sind, Schüler des abendlichen Turnus auf den Morgen zu verlegen, weil nicht genug Dieselöl vorhanden ist, um den Generator zu betreiben und damit die Klassenzimmer zu beleuchten.

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Es leben 400.000 Indios in Amazonien, aus fast 200 Ethnien und in unterschiedlichen Kontaktsituationen mit der brasilianischen Gesellschaft. Die 70 noch isolierten Indio-Gruppen repräsentieren weniger als 1% dieses Universums. 75% der Indios leben im Regenwald. Trotzdem möchten auch sie nichts davon wissen, weiter in ihrem prähistorischen Zustand zu verharren. “Jene, die im Dorf bleiben, möchten die Stadt hinein holen“, sagt Almir, Häuptling der Suruí, aus Rondônia. Computer und Internet sind in vielen Dörfern präsent. In ganz Amazonien nutzen Indios das Internet um ihr Kunsthandwerk zu verkaufen, zu studieren und ihre Rechte einzufordern. “Um politischen Einfluss zu bekommen, ist das Internet besser als Pfeil und Bogen“, sagt Almir, der im vergangenen Jahr eine Vereinbarung zur kartographischen Erfassung des Territoriums seines Volkes, mit Google getroffen hat. 25% der Indios Amazoniens leben in urbanen Zentren, und viele enden in Favelas. Die indigene Bevölkerung von Manaus ist schon zahlreicher als die der meisten Reservate, mit mehr als 12.000 Indios.

Eines der grössten Hindernisse einer Entwicklung Amazoniens ist die Tatsache, dass ein signifikanter Teil davon gesetzloses Territorium ist. Nur 4% der Ländereien Amazoniens sind auf Besitztiteln eingetragen. In einer Unendlichkeit, die 59% des brasilianischen Territoriums entspricht, weiss niemand, wer der Besitzer des Bodens ist, und wer auf ihm lebt. “Es gibt auf der ganzen Welt kein Beispiel einer Region, die sich ohne juristische Sicherheit wirtschaftlich entwickelt hat“, sagt ein Philosoph von der Universität in Rio Grande do Sul. “In einem ungesicherten Umfeld vermeiden die Personen Investitionen auf längere Sicht und suchen nur vom direkten Nutzen zu profitieren“, ergänzt er. Ohne die gesetzliche und juristische Anarchie zu beseitigen, ist es schwierig, die Erhaltung des Regenwaldes zu garantieren oder die Region zur Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung Amazoniens vorzubereiten.

In der Amazonasregion leben wie erwähnt 25 Millionen Menschen, der grösste Teil in urbanen Zentren. Von ihnen hängt die Zukunft des grössten Regenwaldgebiets unseres Planeten ab. Wir zeigen Ihnen, liebe Leser, anhand von ein paar Beispielen, auf welche Art und Weise die modernen Pioniere des brasilianischen Nordens heutzutage ihr Leben meistern – bei einigen sollte man eher sagen:… auf welche Art und Weise sie noch heute dem Regenwald grossen Schaden zufügen, oder bei anderen:… wie sie noch heute die Natur zerstören, ohne sich etwas dabei zu denken – während wieder andere versuchen, sich dem Regenwald anzupassen oder ihn zu studieren, um ihn anhaltend schützen zu können. Inzwischen streben seine Ureinwohner, die Indios, danach, sich Schul- und Fakultätsbildung anzueignen, um ihn zu verlassen, denn sie sehen in der zunehmenden Waldzerstörung um sie herum keine Zukunft mehr, während eingewanderte Ausländer just in ihre Zukunft im Regenwald investiert haben, mit einer oder gar mehreren touristischen Lodges, deren Betten leer bleiben, weil die chaotische Situation Amazoniens inzwischen auch die interessiertesten Touristen vergrämt hat. Nur eine dauerhafte Intervention der Regierung kann hier Ordnung schaffen, die den verbindlichen Schutz des Amazonas-Regenwaldes endlich durch eine verantwortungsbewusste Gesetzgebung garantiert, deren strikte Einhaltung kontrolliert und Zuwiderhandlungen als Verbrechen gegen die Natur rigoros bestraft. Parallel dazu müssen allerdings Lösungen geschaffen werden, die am Beispiel der Freihandelszone in Manaus, den Amazoniern reellen persönlichen Fortschritt bieten, denn das Sammeln von Naturprodukten und die Herstellung von Kunsthandwerk, die heutzutage, wie schon gesagt, keine reellen Marktchancen mehr haben, sind keine Lösung des Problems.

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