Eigentlich weiss man sehr wenig über die Menschen Amazoniens, die im grössten Regenwaldgebiet der Erde leben. Ihre Traditionen und die Organisation ihrer Gesellschaft unterscheiden sich vom individuellen und schnellen Rhythmus in den Grossstädten oder in den Küstenregionen. Die geopolitische Distanz ist ein Hindernis mehr, welches uns den Einblick in ihre Bedürftigkeit hinsichtlich sanitärer Einrichtungen und in ihre Probleme in Zeiten fehlender Naturressourcen, verwehrt. Wir wollen Ihnen ein bisschen von der kontroversen Realität dieser Menschen aufzeigen, die in einem Biom leben, das mittlerweile die Aufmerksamkeit der gesamten Menschheit auf sich gezogen hat.
Amazonien steht im Mittelpunkt des Weltinteresses. Aller Augen richten sich auf dieses immense Kohlenstofflager, besonders seit dem Jahr, auf das sich die Länder zur Definition der globalen Klima-Agenda geeinigt haben. Bekämpfung der Waldabholzung und Initiativen zur Erhaltung der Regenwälder stehen auf der Tagesordnung vieler Regierungen. Allerdings kann der Welt grösste Regenwaldregion bei näherem Hinsehen die prekäre Situation ihrer Bewohner nicht mehr verbergen – die Zeichen von Verwahrlosung und Vernachlässigung seitens der Regierungen sind allzu deutlich.
In einer Region der Widersprüchlichkeiten koexistieren ca. 30 Millionen Bürger verschiedener Länder und Kommunen. Ehemalige entlaufene Sklaven, Indios Latexsammler, Landspekulanten und -besetzer, Mineralienschürfer, Grossgrundbesitzer, Viehzüchter, Holzfäller, dubiose Geschäftemacher, Forscher, Unternehmer, Angestellte u.v.m.
Viele Familien verfügen nicht einmal über die sanitäre Grundausstattung – dazu gehören fliessendes Wasser, Abwasserversorgung oder desinfizierte Sinkgrube und Müllabfuhr. Auch die elektrische Energie fehlt noch in sehr vielen Munizipien oder Kommunen, die so gross sind, wie zum Beispiel Belgien oder Holland. Statistiken hinsichtlich Alkoholismus, Inzest und Prostitution gehören zu den höchsten der einzelnen Länder.
Trotz der prekären medizinischen Versorgung der Bevölkerung, werden der Gebrauch von Heilkräutern und –pflanzen, sowie die traditionellen Kenntnisse zur Heilung von Krankheiten, zunehmend weniger geschätzt und als “nicht wissenschaftlich“ verworfen. Amazonien hat seine besonderen Eigenheiten, und diese immense Region und ihre besonderen Menschen werden sich erst richtig entwickeln können, wenn die Regierungen sich ihnen so widmet, wie es die spezifische Beschaffenheit dieser Region erfordert.
Die neuen Werte
“Es gibt eigentlich dort schon alles: Fernsehen, Internet, Coca- oder Pepsi-cola, Geld und die Konsummentalität stimuliert durch die Medien“, sagt zum Beispiel Maria, Bewohnerin des Nationalforstes des Rio Purus, im Bundesstaat Amazonas, und Mitglied des “Rates der 13 Grossmütter des Planeten“. Wie sie erzählt, hat die Konsumgier bewirkt, dass viele Personen ihr Land billig verkaufen und so eine Invasion von Sägewerken und Holzfällern, Viehzüchtern und Sojaproduzenten in ihr und viele weitere Gebiet provozieren.
“Sie wollen lieber arbeiten, um einen Tageslohn zu bekommen, als pflanzen und ernten – denn so erhalten sie Geld, und mit Geld kann man etwas kaufen. Aber dadurch verarmen die Leute – sie werden zu Angestellten, die für alles gut sind, die alles machen, was Geld bringt – ohne Arbeitsrechte – sie konsumieren Industrieprodukte letzter Qualität, sie ernähren sich schlecht, aber kaufen einen Fernseher. Und weil es keine Elektrizität gibt, müssen sie einen Generator haben und Benzin per Kanu heranschaffen, das umgerechnet fast 3 Euro pro Liter kostet“! Auch die Drogen-Mafia profitiert von dieser Situation und den fehlenden Perspektiven des amazonensischen Jugend, um ihre Infiltrations-Routen durch diese Region zu legen, weit weg von jeglicher polizeilicher Kontrolle.
Die Wirtschaft des Regenwaldes
Wenn die Amazonier noch vor 15 Jahren von den Ressourcen des Regenwaldes leben konnten, so gibt es diese Möglichkeit heutzutage nicht mehr. Deshalb wird die Bevölkerung immer abhängiger vom industriellen Konsum, und kommt auch dem Geld in Amazonien immer grössere Bedeutung zu. Ein Gesundheitskoordinator der Region der schon seit fast 25 Jahren in Amazonien tätig ist und Gesundheits- und Erziehungsaktionen unter den Kommunen der Flussbewohner entwickelt. Er erzählt von einer der vielen üblichen Praktiken der Regierungen, dem Druck der Sojaproduzenten auf die Viehzüchter, ihnen die schon abgeholzten Flächen zu überlassen und ihr Vieh in den jungfräulichen Regenwald zu treiben, womit diese die Grenzen der Entwaldung weiter voran treiben.
Er sieht den einzigen Ausweg, die Bevölkerung daran zu hindern mit diesen Händlern zu kompaktieren darin, das Organisationsniveau der Kommunen zu stärken, sie in Bezug auf ihre Bürgerrechte zu orientieren und dem, auf dem Stück Land zu bleiben, das ihnen gehört.
“Es muss endlich offiziell die Frage des Besitzrechts geklärt werden, damit sie das Gefühl bekommen, dass dieses Stück Land ihnen gehört und niemand sie mehr davonjagen kann“.
Die Arbeit ist eine Verlockung, denn “sie haben das Gefühl, dass niemand ihnen beisteht und, wenn sie ihr Land nicht für einen lächerlichen Preis verkaufen, werden sie es sowieso verlieren“. In diesem Fall geben sich die Medien immer mehr als Alliierte und wiederholen die Denunzierungen der Illegalität grosser Unternehmen, die sich im Regenwald bedienen.
João der Gründer des “Netz der Waldbewohner“ glaubt, dass es notwendig wird, im Regenwald eine gesunde Wirtschaft aufzubauen. Deshalb regt seine Organisation die Wiedereinpflanzung von nativen Spezies und von Frucht tragenden Bäumen an, die sich mit anderen Spezies gut vertragen, zukünftigen Edelhölzern Schatten spenden und für die Kommunen eine Nahrungs- und Einnahmequelle darstellen. Ein anderer starker Ansatz dieser GNO ist es, darauf hin zu arbeiten, dass die Bevölkerung sowohl durch die Wiederaufforstung Geld erhält, als auch durch ihre Anstrengungen, mit denen sie weitere Waldverluste verhindert.
Leben mit der Technologie
Die Kontakte der Bevölkerung Amazoniens mit anderen Kulturen nehmen zu. Und die Waldbevölkerung auf effektive Art und Weise mit der Technologie zu konfrontieren, hat sich zu einer Überlebensfrage für zukünftige Generationen entwickelt. Allein schon deshalb, weil die Bevölkerung mit dem Rückgang der natürlichen Ressourcen zunehmend auf Geld angewiesen sind, um ihre Existenz zu behaupten. Die Anforderungen des Arbeitsmarktes – obgleich etwas spät – werden Amazonien erreichen. Junge Menschen von heute, die niemals einen Computer gesehen haben, werden ausgestossen, wenn sie gross sind. Deshalb müssen sie nach Möglichkeit schon heute mit der Technologie von morgen konfrontiert werden.
Im “Netz der Waldbewohner“ ist man bemüht die Technologie einzuführen ohne deshalb den persönlichen Kontakt zum Austausch von Leid und Freude zu verlieren, die stets die Essenz der Kommunikation der Menschen Amazoniens gewesen sind.