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Der längste Fluss der Welt

Veröffentlicht am 19. November 2011 - 15:40h

Als brasilianische Forscher im Juni 2007 entdeckten, dass der Amazonas doch der längste Fluss der Welt sei – auf der Basis einer Expedition, GPS-Markierungen und Satellitenaufnahmen – wiederholten die brasilianischen und peruanischen Forscher eine Wahrheit, welche die Andenindianer schon seit fünf Jahrhunderten kannten: Der eigentliche Quellfluss des Amazonas ist der Rio Ucayali – und nicht der Tunguragua! Diese Feststellung macht ihn länger als den Nil auf 6.850 Kilometer.

In einer beeindruckenden Untersuchung, die er 1889 präsentierte, demonstrierte der Jurist João Mendes de Almeida, dass das Wort “Tunguragua“ aus der Tupi-Sprache stammt – “Tange-yrê-áquá“ bedeutet “renne schnell hinter dem anderen her“. Und “Ucayali“ bedeutet “renne schnell und lass den andern hinter dir“. Der Ucayali entspringt weiter südlich als der Tunguragua, und er fliesst auch viel schneller als dieser, bevor er sich mit ihm vereint.

Und für diejenigen, welche die Erklärungen aus der Tupi-Sprache, mitten in der Wiege des Inka-Imperiums, befremdlich fanden, hatte João Mendes weitere Enthüllungen parat: der Name “Peru“ kommt von “Pé-rú“, ebenfalls aus dem Tupi und bedeutet “es gibt einen Weg“ – eine Referenz an die Strasse, welche die Anden überquerte – und der Name des Gebirges kommt von “A’-ndi“ und bedeutet “viele Bergspitzen“. Das Volk der Tupi war die erste Generation Amerikas, so erklärte der Jurist weiter, erst nach ihnen kamen die andern.

Die Namen – beziehungsweise die Unkenntnis über sie – führten zu geopolitischen Implikationen, welche den Rio Amazonas buchstäblich verkürzten. Die Portugiesen gestatteten nicht, dass der Rio Marañon, in den der Tunguragua mündet, und der tosend die Anden herabstürzt, in Brasilien mit diesem Namen ankäme – sie glaubten an jene Legende, nach der ein gewisser spanischer Kapitän den Fluss entdeckt und ihm seinen Namen gegeben habe. In Wahrheit stammt der Name von “Mara-nhã“, was in der Tupi-Sprache bedeutet “er rennt sinnlos“.

Seine Quelle befindet sich nahe am Pazifik – in 5.170 Metern Höhe, auf einem trockenen, kalten Berggipfel – dort beginnt er seine Reise als schmales Rinnsal. Bevor er sich seinen Weg ausgesucht hat, zögert er – fliesst erst einmal von Süd nach Nord, bevor er eine Kurve nach Nord-Nordwest macht, so als ob er eine Abkürzung gefunden hätte. Dann, nach einer langen Geraden, genannt “Pongo de Manseriche“, wechselt er brüsk die Richtung – jetzt nach Osten, und dabei bleibt er und beginnt nun die längste Reise eines Flusses auf dieser Erde: mindestens 6.850 Kilometer (der Nil ist 6.670 km lang) – bis er schliesslich auf der anderen Seite des Kontinents in den Atlantik mündet.

Auch der in der brasilianischen Ebene so gemächlich fliessende Amazonasstrom stürzt vom peruanischen Altiplano herab als reissender, tosender Fluss, der andauernd seinen Namen wechselt. Nachdem er dann die Ebene erreicht hat, wechselt er den Rhythmus. Ab dem brasilianischen Ort Benjamin Constant, an der Grenze zu Peru, bis zum Atlantischen Ozean, einer Strecke von 3.220 Kilometern auf brasilianischem Territorium, hat der Strom nur ein Gefälle von 65 Metern – das sind 20 Millimeter pro Kilometer. Und das erklärt, warum er durchschnittlich nur 2,5 Kilometer pro Stunde vorwärts kommt!

Auf seinem Weg liefern der “Vater der Ströme“ und seine mehr als 7.000 Nebenflüsse Millionen von Menschen an ihren Ufern die Existenzgrundlage in Form von Naturprodukten – werden zur Heimat, zu Strassen, zur Lebensart aller, die sein Becken von 5.846.100 Quadratkilometern bewohnen.

Die Kolumbianer nennen einen Fluss etwas voreilig “Rio Amazonas“, der, nachdem er die brasilianische Grenze überquert hat, lediglich ein Arm des brasilianischen Amazonas wird: der “Rio Solimões“. Erst nach 1.620 km hinter der Grenze – 10 km hinter Manaus – bekommt der Solimões den Namen Amazonas, nach dem Zusammenfluss mit dem Rio Negro. Und das tut er nicht ohne Widerstreben. Das kalte, weisslich-trübe Wasser des behäbigen Solimões, durchsetzt mit Sedimenten der Gesteine, die seine Zuflüsse von den Anden mitbrachten, braucht sechs Kilometer, bis er sich zur Vermischung mit dem Negro entschliesst, der mit seinem wie Coca-Cola aussehenden dunklen Wasser, warm, schnell und mit weniger Tiefe daherkommt.

Zwischen Manaus und Belém wird der Amazonas zur bedeutendsten Wasserstrasse Brasiliens – 65% aller Flusstransporte des Landes werden auf ihm abgewickelt. Auf diesen 1.650 km werden die Produkte der Freihandelszone (Manaus) aus- und die Komponenten dafür angeliefert, das Korn vom Rio Madeira und Bauxit vom Rio Trombetas transportiert er genauso wie die Boote der Händler, die den “Ribeirinhos“ (Flussuferbewohner) ihre Waren anbieten. Mit 30 bis 40 Metern Tiefe ist der Amazonas während des ganzen Jahres schiffbar, selbst für grosse Schiffe.

Vom einen Ufer kann man das andere nicht erkennen, mit Ausnahme während der Trockenperiode. Sein breitester Abschnitt befindet sich in der Nähe der Mündung des Rio Xingu – hier ist er 13 Kilometer breit! Allerdings kann er während der Regenperiode bis zu 13 Metern ansteigen und mehr als 50 Kilometer breit werden!

Die mittlere Entleerung des Amazonasstroms beträgt 170.000 Kubikmeter pro Sekunde – auf der Höhe von Óbidos, im Bundesstaat Pará, wo er seine engste Stelle passiert, mit 2.600 Metern Breite. Unterhalb dieser Stadt erhält er weiteren Zufluss bedeutender Ströme, wie dem Tapajós, dem Xingu, dem Pará und dem Jari. Sein Wasservolumen an dieser Stelle ist bereits zehn Mal grösser als das des Mississippi, dem grössten Strom der USA.

Im Jahr 1500 nannte der spanische Seefahrer Vicente Pinzón, der als der Entdecker des Amazonas gilt, den Strom “Mar Dulce“ (Süsses Meer) – bevor sein Landsmann Francisco de Orellana ihn mit dem griechischen Mythos der Amazonen assoziierte.

Vor seiner Mündung in den Atlantik verhält sich der Amazonas tatsächlich wie ein riesiges Süsswassermeer: indem er sich zu einer 320 Kilometer breiten Mündung öffnet und in den Ozean ein Wasservolumen ergiesst, das 11% allen Wassers ausmacht, welches von allen anderen Flüssen dieser Welt ins Meer gespült wird! Seine lehmig-trüben Wassermassen verdrängen das Meerwasser bis auf 200 Kilometer im Umkreis seiner Mündung, und dieses Aufeinandertreffen der Giganten türmt sich auf zu Wellen, die bis zu einer Höhe von fünf Metern wachsen können und bei Neumond als “Pororoca“ den Fluss hinauf donnern.

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