Der Regenwald in Amazonien liegt im Sterben, glaubt man Wissenschaftlern, Naturfreunden oder Öko-Aktivisten. „Alles halb so schlimm“ halten der Industrie, dem Bergbau und der Agrarlobby zugeneigte Politiker entgegen und plappern damit genau das nach, was in den weit entfernten Zentralen der mächtigen Konzerne in den PR-Abteilungen zu Papier gebracht wurde. Vom riesigen Urwald sei noch genügend vorhanden und ausserdem sei er gar nicht so sehr für das Weltklima verantwortlich wie immer behauptet. Womit sie – ganz nüchtern betrachtet – vielleicht sogar recht haben könnten.
Unbestritten ist jedoch, dass Amazonien ein Lebensraum ist. Für hunderttausende von entdeckten Tier- und Pflanzenarten und vermutlich Millionen Spezies, die noch nie ein Mensch gesehen geschweige wissenschaftlich beobachtet und katalogisiert hat. Viele davon wurden bereits ausgelöscht – vor ihrer Entdeckung wohlgemerkt. Der dichte Regenwald, von zivilisationsverwöhnten Menschen oft zur „grünen Hölle“ degradiert, ist jedoch auch angestammtes Land zahlreicher indigener Völker. Diese leben von und mit dem Dschungel und seiner reichhaltigen Flora und Fauna.
Dies war bereits vor 500 Jahren so, als ein Italiener namens Kolumbus die Karibik entdeckte und damit die „Invasion“ auf den amerikanischen Kontinenten einleitete. Das war 1492. Sieben Jahre später war es der Spanier Vicente Yáñez Pinzón, der die Mündung des Amazonas entdeckte. Doch hinein traute er sich nicht. Es sollte Jahrzehnte dauern, bis die unerfahrenen Kolonisten überhaupt einmal den mächtigen Strom hinauf fuhren und damit einen grausamen Eroberungsfeldzug initiierten, der im Endeffekt bis heute andauert.
1669 wurde die heutige Millionenmetropole Manaus gegründet, die Versklavung indigener Bevölkerung begann. Und natürlich auch der Raubbau an der Natur, wenn auch in geringem Maße. Schon in der präkolumbianischen Zeit hatten im Amazonasgebiet nicht nur „Wilde“ gelebt, größere Zivilisationen hatten dort Städte gebaut. Doch diese waren untergegangen und der Urwald holte sich im Laufe der Jahrhunderte sein Land zurück. Nun jedoch sorgten die weissen Siedler dafür, dass die Zerstörung dauerhaft blieb.
Ob wie vor vielen Jahren durch riesige Kautschuk-Plantagen und gigantischen Goldgräbersiedlungen oder wie in den letzten Jahrzehnten durch Viehweiden, Köhlereien und Anlagen zur Ölförderung und Bergbau – es gab und gibt schon immer vielfältige Interessengruppen, die den Ressourcen des Amazonas habhaft werden wollen und die Natur dabei mit Füssen treten. Ende des 19. Jahrhunderts war der Kautschuk-Boom für extensive Zerstörung verantwortlich, Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts ging es dann um das „schwarze Gold“ und andere Bodenschätze. Dafür wurden Siedlungen in den unberührten Regenwald gerammt, nachdem breite Schneisen für die Zufahrtswege in den Dschungel getrieben worden waren.
Damit die dortigen Menschen auch versorgt werden konnte, blühte Ackerbau- und Viehzucht auf. Felder und Weiden wurden großflächig angelegt, alles zu Lasten des einmaligen Ökosystems. Und es wurde immer schlimmer. In Brasilien wollte man sogar während der Militärdiktatur den Regenwald großflächig besiedeln und begann ein gewaltige Straße von Ost nach West durch Amazonien zu treiben – die Transamâzonica. Doch wenigstens hier konnte sich der Regenwald behaupten, in weiten Teilen ist die Strecke heute bereits wieder überwuchert oder nur schwer befahrbar.
Vor knapp 30 Jahren begann mit der Öko-Welle in Europa auch der Schutz Amazoniens in den Vordergrund zu rücken. In Brasilien wurde wenig später begonnen, die Vernichtung des Naturwunders zumindest zu dokumentieren. Doch der wohl berühmteste Aktivist, der sich für den Erhalt des Dschungels einsetzte, musste dafür erst sterben. Mit der Ermordung von Chico Mendes am 22. Dezember 1988 begann die tatsächliche Umorientierung der Politik. Die ersten Reservate und besonderen Schutzgebiete wurden parallel zu den damals wenigen und viel zu kleinen Nationalparks ausgewiesen.
Die Abholzung konnte dies jedoch zunächst nicht stoppen. Erst in den letzten Jahren stieg der internationale Druck auf die regionalen Regierungen, mehr als bislang zu unternehmen. Dieser Wandel ist vor allem den Veränderungen beim Weltklima zuzuschreiben, wobei die zunehmende Abholzung in Amazonien in Korrelation mit der globalen Erwärmung und dem generellen Klimawandel gesetzt wurde. Ob dies tatsächlich so ist, bleibt weiter umstritten.
Fakt ist jedoch, dass Amazonien auch ohne direkte oder indirekte Beteiligung am Klimawandel erhalten bleiben muss. Und dies nicht nur aufgrund der bereits erwähnten Tier- und Pflanzenwelt, sondern weil er einfach existiert und einmalig ist. Und weil kein Wissenschaftler dieser Welt abschätzen kann, was passiert, sollte er vom Antlitz des Planeten verschwinden. Daher muss er in seiner ganzen gigantischen Größe und Schönheit den kommenden Generationen erhalten bleiben – für diejenigen, die ihn besuchen und davon lernen wollen als auch für die Nachkommen, die darin geboren wurden und für die Amazonien ihre Heimat ist.